Studie: Meinungsfreiheit bei Ex-DDR-Bürgern nicht hoch im Kurs
“Echos der Vergangenheit” haben die Forscherinnen ihre Untersuchung überschrieben. Sie zeigt, wie lang der Schatten einer Diktatur sein kann – auch noch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer.
Ostdeutsche, die noch in der DDR gelebt haben, schätzen das Recht auf Meinungsfreiheit einer neuen Studie zufolge deutlich weniger als Westdeutsche. Der Unterschied sei umso größer, je länger Menschen in der DDR gelebt hätten, teilte die Universität Regensburg am Dienstag mit. Bei den nach 1989 Geborenen seien dagegen keine Ost-West-Unterschiede in der Einstellung zu diesem Grundrecht feststellbar.
Wirtschaftswissenschaftlerinnen aus Regensburg und dem niederländischen Groningen haben den Angaben zufolge umfangreiche sozialwissenschaftliche Befragungsreihen von 1991 bis 2018 analysiert. Dabei wurden teils dieselben Personen im Abstand von jeweils zehn Jahren wiederholt befragt. Olga Popova vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg und ihre niederländische Kollegin Milena Nikolova wollten wissen, wie sich der Staatssozialismus in der DDR langfristig auf individuelle Einstellungen zur Meinungsfreiheit auswirkt.
Demnach war etwa 1996 für 6,3 Prozent der Ex-DDR-Bürger der Schutz der Meinungsfreiheit das wichtigste abgefragte politische Ziel. Bei in der Bundesrepublik aufgewachsenen Personen war dies dagegen für 21 Prozent der Fall. Das Bild sei durchgehend von Sommer 1991 bis zum Ende der Befragungen ähnlich gewesen. “Es gibt zwar Anzeichen dafür, dass sich die Einstellungen im Laufe der Zeit angleichen werden, das aber sehr langsam”, sagte Nikolova. “Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Unterschiede bis heute bestehen – und noch lange Zeit weiter bestehen werden.”
Die Einstellungen zwischen Ost- und Westdeutschen klafften umso stärker auseinander, je älter die früheren DDR-Bürger seien, heißt es in der Studie. Die Forscherinnen vermuten dahinter eine Folge des kommunistischen Regierungshandelns. Informationen seien kontrolliert, abweichende Meinungen unterdrückt worden. “Daraus kann tiefsitzendes Misstrauen resultieren – und damit generelle Vorsicht vor freier Meinungsäußerung”, sagte Popova. “Bemerkenswert ist, dass das Leben in einer Demokratie seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten kaum einen gegenteiligen Einfluss hat.”
Die Studie ist in der Fachzeitschrift “Journal of Economic Behavior and Organization” auf Englisch erschienen. Sie lässt nach Angaben ihrer Autorinnen besser verstehen, wie politische Regime individuelle Werte langfristig beeinflussen. Zudem zeige sie auf, wie fragil fundamentale Grundrechte wie Meinungsfreiheit auch in etablierten Demokratien sein könnten.
Für die Untersuchung wurden laut Uni Daten des Sozio-oekonomischen Panels und der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ausgewertet.