Studie: Ehemaligen DDR-Bürgern ist Meinungsfreiheit weniger wichtig
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern auch Jahre nach dem Fall der Mauer weniger wichtig als jenen, die vor 1989 in der BRD gelebt haben. Das zeigt eine Studie von Ökonominnen des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg und der Reichsuniversität Groningen in den Niederlanden. Die Differenz sei umso größer, je länger die Menschen in der DDR gelebt haben und resultiere vermutlich aus der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR, teilte das IOS in Regensburg am Dienstag mit. Bei nach 1989 Geborenen ließen sich dagegen keine Ost-West-Unterschiede feststellen.
Unter anderem sollten die Befragten angeben, für wie wichtig sie den Schutz freier Meinungsäußerung als politisches Ziel bewerten – gegenüber der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem Einsatz gegen Preissteigerungen und mehr Einfluss der Bürger auf die Regierung.
Die Diskrepanz in den Einstellungen sei stärker ausgeprägt, je älter die früheren DDR-Bürger seien und je länger sie damit im sozialistischen System gelebt hätten. „Wir können diese Unterschiede nicht mit letzter Sicherheit erklären, sie sind wahrscheinlich eine Folge der allgegenwärtigen Bemühungen des Regimes, Informationen zu kontrollieren und abweichende Meinungen durch Indoktrination und politische Repression zu unterdrücken“, erläuterten die Autorinnen Olga Popova (IOS) und Milena Nikolova (Universität Groningen).
Die Studie trägt den Autorinnen zufolge nicht zuletzt zu einem besseren Verständnis dafür bei, wie politische Regime individuelle Werte beeinflussen und wie lange diese Effekte anhalten können. Zudem zeige sie auf, „wie fragil fundamentale Grundrechte wie Meinungsfreiheit auch in etablierten Demokratien sein können“.
Die beiden Forscherinnen nutzten für ihre Arbeit die deutsche Teilung und spätere Wiedervereinigung als sogenanntes natürliches Experiment, um die langfristigen Auswirkungen des Staatssozialismus auf individuelle Einstellungen zur Meinungsfreiheit zu untersuchen. Dafür analysierten sie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von Befragungen derselben Personen in den Jahren 1996, 2006 und 2016. Hinzu kamen Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) in den Jahren 1991 bis 2018. (00/2930/01.10.2024)