Studie deckt Ausmaß sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück auf

122 beschuldigte Kleriker, mehr als 400 Betroffene: Eine neue Studie beleuchtet das Ausmaß sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück. Zugleich bietet sie zwei neuen Blickwinkel auf das Thema.

Nach gut dreijähriger Arbeit haben Forscher am Mittwoch eine Studie zu sexualisierter Gewalt im katholischen Bistum Osnabrück vorgestellt. Von 1945 bis zur Gegenwart ermittelten sie 122 Priester und Diakone, denen Gewalt an 349 Betroffenen vorgeworfen wird, wie die Universität Osnabrück mitteilte. Zu mindestens 60 weiteren Betroffenen lägen konkrete Hinweise vor; eine Mindestzahl von gut 400 Betroffenen sei daher gesichert.

Darüber hinaus gehen die Forscher von einem wesentlich größeren Dunkelfeld aus. Die vorgeworfenen Taten umfassten das gesamte Spektrum sexualisierter Gewalt – von Distanzverletzungen bis hin zu schweren Sexualstraftaten. Der Anteil der Beschuldigten an allen Klerikern des Bistums liege bei rund 4 Prozent. Das bestätige Befunde aus anderen Bistümern, sagte einer der Autoren, der Rechtswissenschaftler Hans Schulte-Nölke.

Wesentlich für das Forschungsprojekt sei die Beteiligung von drei externen Missbrauchsbetroffenen gewesen, so die Historikerin Siegrid Westphal. Deren Beiträge hätten es etwa ermöglicht zu untersuchen, wie über möglichen Missbrauch geredet wurde.

Laut Projektkoordinator Jürgen Schmiesing sind in den Gesprächen mit 23 Betroffenen und 45 Personen aus dem Umfeld sowie weiteren Experten seien “unbewusste wie beabsichtigte” sprachliche Muster sichtbar geworden: von einer Pathologisierung der Betroffenen und vermeintlich zeittypischen Prügelstrafen über die Behauptung einer Mitschuld von Betroffenen bis zur Täter-Opfer-Umkehr oder der Rede von einer “Liebesbeziehung” zwischen weiblichen Teenagern zu älteren Klerikern. Solche Narrative hätten dazu beigetragen, wegzuschauen, Taten als harmlos umzudeuten und nichts zu unternehmen.

Betroffene und Zeugen hätten den Forschern einen Zugang zum Thema ermöglicht, den Akten von Kirche und Justiz nicht böten, sagte Karl Hauke, Betroffener und Mitglied der Steuerungsgruppe. Diese spiegelten eher die Sicht der Beschuldigten wider.

Auch wenn die Kirche die Studie beauftragt und finanziert habe, habe das Bistum in keiner Weise versucht Einfluss zu nehmen, so Universitätspräsidentin Susanne Menzel-Riedel. Sie hoffe, dass die Studie es künftig deutlich schwerer mache, Dinge zu vertuschen oder herunterzuspielen.

Der Abschlussbericht der historisch-juristischen Studie bestätige die Ergebnisse zu den Pflichtverletzungen der Bistumsleitungen, hieß es weiter. Diese hatten die Wissenschaftler bereits in einem Zwischenbericht im September 2022 festgestellt. Danach haben die Verantwortlichen jahrzehntelang nicht pflichtgemäß auf Hinweise zu Missbrauch reagiert. Auch sei die Kommunikation mit Betroffenen, lange abwehrend und bürokratisch im Umgang gewesen. Der Zwischenbericht war ein wesentlicher Grund für den Rücktritt von Bischof Franz-Josef Bode im März 2023.

Inzwischen sei im Bistum aber “eine Lernkurve erkennbar, die nach oben zeigt”, so Schulte-Nölke. Ob und wie sich der von Bode initiierte diözesane Schutzprozess des Bistums bewähre, müsse sich noch zeigen. Da auch die Bistumsverantwortlichen den Bericht erst ab dem 2. Oktober einsehen können, will die Bistumsleitung eine Woche später am 9. Oktober ausführlich Stellung nehmen.