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Studie: 70.000 Menschen in Schleswig-Holstein leben mit Demenz

Hier lässt es sich schön alt werden: Zwischen Wiesen und Feldern, vielleicht sogar am Meer. Viele ältere Menschen verbringen ihren Ruhestand im ländlichen Schleswig-Holstein – mit Folgen: „In beliebten Alters-Wohnregionen, wie zum Beispiel in Ostholstein, leben heute besonders viele Menschen mit Demenz“, sagt Cornelia Prepernau vom Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein, das kürzlich eine Studie herausgegeben hat.

Laut ihrer Hochrechnung lebten Ende 2024 landesweit über 70.000 Menschen mit Demenz, im Vorjahr waren es noch 68.250. „Die Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt“, sagt die 55-jährige Expertin anlässlich des Welt-Alzheimertags am 21. September. Demenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten, die unter anderem mit dem Verlust des Erinnerungsvermögens einhergehen.

Der Anteil der Demenzerkrankten an der Gesamtbevölkerung war laut Studie Ende 2024 in den Kreisen Ostholstein, Plön und Stormarn am höchsten. Die meisten Menschen mit Demenz gebe es hochgerechnet im Kreis Pinneberg (7.483), Rendsburg-Eckernförde (6.630) und Segeberg (6.328). Prepernau: „Es ist wichtig, den Bedarf zu kennen, um Menschen mit Demenz dort zu erreichen, wo sie tatsächlich leben.“

Deutschlandweit leben etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz und jährlich kommen rund 445.000 Neuerkrankungen im Alter ab 65 Jahren hinzu. Bis zum Jahr 2050 gehen Schätzungen davon aus, dass die Zahl der Betroffenen in der Altersgruppe der über 65-Jährigen in Deutschland auf rund 2,8 Millionen steigen wird. „Das Risiko an einer Demenz zu erkranken, steigt mit dem Alter stetig an“, sagt Prepernau. Und eine zunehmenden Überalterung betreffe vor allem Flächenländer wie Schleswig-Holstein, da es junge Menschen eher in Großstädte zieht.

Es ist eine besondere Herausforderung, mit einer Demenzerkrankung im ländlichen Schleswig-Holstein zu leben. „Hier gibt es deutlich weniger Hilfsangebote als in der Stadt“, weiß Prepernau. Im Laufe der Corona-Pandemie seien viele Angebote eingestellt und auch nicht mehr aufgenommen worden. Ein zusätzliches Problem seien weite Wege. „Wenn man für ein Angebot wie ein Demenz-Café oder eine Chorstunde eine Stunde hin- und zurückfahren muss, ist der Aufwand für Angehörige und Betroffene oft zu groß“, sagt die Expertin.

Ein weiteres Problem sei die schlechtere Versorgung mit Haus- und Fachärzten. Es gebe zu wenige. „Dabei ist der Besuch bei einer Neurologie-Praxis sehr wichtig, um überhaupt eine richtige Diagnose zu haben“, betont Prepernau. Ursachen für Gedächtnislücken könnten nämlich auch durchaus behandelbare Schilddrüsenprobleme, Vitaminmangel oder ein Tumor sein.

Grundsätzlich müsse die Versorgung und Unterstützung für Menschen mit Demenz in Schleswig-Holstein „dringend“ ausgebaut werden. Es gebe zwar immer wieder Leuchtturmprojekte wie Bauernhöfe für Menschen mit Demenz, Kochgruppen oder Kunstprojekte, die jedoch nicht flächendeckend angeboten würden oder oft nicht weitergeführt werden können. „Das ist so schade, weil sie nachweisbar eine positive Wirkung auf Menschen mit Demenz haben.“ Ursachen seien häufig fehlende Ehrenamtliche, ein zu hoher Bürokratie-Aufwand oder Geldmangel.

Prepernau appelliert an das Land, die Kommunen, Institutionen, Verbände und weitere Akteure, mehr Angebote vor Ort zu schaffen oder zu unterstützen. Dies betreffe nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung, sondern auch Bereiche wie Mobilität, gesellschaftliche Teilhabe und niedrigschwellige Beratungsangebote.

„Wichtig ist auch, dass Betroffene direkt von Angeboten aus ihrer Region erfahren“, sagt sie. Es gebe über das Kompetenzzentrum SH zwar einen digitalen Demenzwegweiser, der sämtliche Angebote aller Kreise auflistet. Es fehle aber Geld für die stets notwendigen Aktualisierungen etwa mithilfe Künstlicher Intelligenz.

„Damit Betroffene möglichst lange selbständig bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, braucht es das Engagement vieler“, sagt die Expertin. Ein Einsatz, der sich lohnt. Studien zeigen, dass etwa Angebote wie Musik, Naturspaziergänge, Umgang mit Tieren, gemeinsames Kochen und passende Medikamente einen positive Effekt für Betroffene haben. Prepernau: „Der Bedarf ist riesengroß.“