Stiftung will Wissenslücken in Kinderkrebs-Forschung schließen
Wenn Kinder an Krebs erkranken, haben sie gute Chancen, ihn zu überleben. Allerdings haben die Therapien oft Nebenwirkungen und zeigen Spätfolgen. Eine Frankfurter Stiftung kämpft für Heilung und schonendere Behandlung.
Der 22. Dezember 2006 war ein freudiger Tag bei Familie Menger – da wurde ihr Sohn Patrick geboren. Anderthalb Jahre währte das Glück, dann kam die niederschmetternde Diagnose: Patrick hat Krebs. Ein Hirntumor. Fortan wurde die Onkologie der Universitätsklinik Frankfurt zum zweiten Zuhause der Familie. Es folgten Operationen, Chemotherapie, 30 Bestrahlungen. Eine Tortur. Doch es lief gut, der Krebs war irgendwann besiegt.
Was damals niemand ahnte: Er sollte wiederkommen. Nach elf Jahren war der Hirntumor an genau derselben Stelle zurück. “Patrick ist damit eines von fünf Kindern weltweit, bei dem nach so langer Zeit ein Rückfall auftritt”, erzählt Uwe Menger, der Vater. Der Behandlungsmarathon ging von vorne los, und die Eltern ergriff die Angst: Wird Patrick diesmal sterben? Doch Patrick lebt. Er hat den Krebs erneut besiegt und gilt als gesund.
In den Monaten der Behandlung in der Uniklinik war Uwe Menger immer wieder eine Karte in die Hände gefallen. “Wenn ich groß bin, möchte ich gesund sein”, stand darauf in Kinderschrift, darüber eine große gelbe Sonne. Es war das Bild der Frankfurter Stiftung für krebskranke Kinder, die damit für ihre Arbeit warb. Heute ist Menger, der von Hauptberuf Banker ist, ehrenamtliches Mitglied im Vorstand der Stiftung.
“80 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die an Krebs erkranken, können wir heilen, doch das ist keine zufriedenstellende Zahl, wir wollen 100 Prozent”, unterstreicht Menger auf einer Veranstaltung zum 30-jährigen Bestehens der Stiftung. Wie Menger gehören auch andere Mitglieder in Geschäftsführung und Vorstand zu den Betroffenen; sie sind Eltern von Kindern, die an Krebs erkrankten – und überlebten. Sie wissen aber auch: Nicht alle schaffen es. “Das treibt uns jeden Tag neu an.”
Während Menger seine Geschichte erzählt, arbeiten zwei Stockwerke tiefer bis zu 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Vision einer hundertprozentigen Heilung und eines Lebens ohne therapie- und tumorbedingte Spätfolgen. Die Frankfurter Stiftung für krebskranke Kinder, 1994 von Eltern erkrankter Kinder gegründet, sieht ihre Hauptaufgabe in der Krebsforschung. Denn die ist für große Pharmakonzerne nicht lukrativ genug. Dafür sind die Erfolgsquoten bei der Krebsbehandlung von Kindern mit knapp über 80 Prozent doch zu gut.
Vor 20, 30 Jahren waren die Überlebensraten geringer, die Therapien haben sich also verbessert. Und doch gibt es noch viele Fragezeichen: Warum reagieren Tumore nach vielen Behandlungen nicht mehr auf eine Therapie? Warum läuft die Zellteilung bei Babys und Kleinkindern überhaupt aus dem Ruder, so dass Krebs entsteht? Wie können Krebszellen attackiert werden, ohne gesunde Zellen zu zerstören?
“Heilen ist eine teuer erkaufte Sache”, betont Dirk Heckl, der als Stiftungsprofessor im 2004 eröffneten stiftungseigenen Petra-Joh-Forschungshaus tätig ist. Therapeutika in der Krebsmedizin seien hochgradig giftig, die Spätfolgen oft gravierend: Hörschäden, Herzerkrankungen, Zweittumoren, kognitive Störungen. Auch bei Patrick ist die aggressive Behandlung nicht ohne Folgen geblieben: Er ist kleiner als gleichaltrige Jugendliche, er hat Bewegungseinschränkungen und kognitive Einschränkungen.
Neben schonenden Therapien liegt der zweite Fokus der Forschungsarbeit auf Experimenten mit Krebszelllinien. Dafür hat Martin Michaelis gemeinsam mit Jindrich Cinatl in Frankfurt die weltweit größte Sammlung chemotherapie-resistenter Tumorzellen aufgebaut. “Diese Krebszelllinien behandeln wir nun mit allen Medikamenten und Wirkstoffen, die es gibt, um zu prüfen, ob sie darauf empfindlich reagieren”, erklärt Michaelis. Benannt wurde das Forschungshaus nach Petra Joh, die mit nur 32 Jahren an Krebs starb und ihr Erbe der Stiftung vermacht hat.
Zwischen 2,5 Millionen und 3 Millionen Euro stehen der Stiftung für ihre Arbeit jährlich zur Verfügung; der Großteil des Geldes stammt laut Angaben aus Spenden. In Deutschland erkranken jedes Jahr 2.200 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre neu an Krebs. Damit ist Krebs noch immer die am häufigsten auftretende tödliche Krankheit in der Altersgruppe.