Stephan Weiß über seinen Großvater Professor Kurt Huber

Kurt Huber war der einzige Professor in der studentischen NS-Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl. Wie Hubers Familie sein Andenken bewahrt.

Unter dem Titel „Die Rückkehr der Namen“ wollen der Bayerische Rundfunk (BR) und die Stadt München am 11. April der Verfolgten des NS-Regimes in der bayerischen Landeshauptstadt gedenken. Teilnehmende haben Patenschaften für 1.000 Persönlichkeiten übernommen. Zu ihnen gehört Stephan Weiß (66). Er ist der Enkel von Professor Kurt Huber (1893-1943), der wegen seines Mitwirkens bei der studentischen Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ von den Nazis hingerichtet wurde. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem Informatiker über sein Engagement in der Erinnerungsarbeit und über die Pflege des Andenkens an den Großvater in der Familie.

KNA: Herr Weiß, warum machen Sie beim BR-Erinnerungsprojekt mit?

Weiß: Ich wirke bereits in der Weiße-Rose-Stiftung mit und mir gefiel der Gedanke, bei dieser Aktion auch die weiteren Mitglieder dieser studentischen NS-Widerstandsbewegung in die Stadt zurückzutragen. Die Geschwister Sophie und Hans Scholl sind ja vielen bekannt. An Kurt Huber denkt man nicht sofort.

KNA: Wo werden Sie am Donnerstag um 15 Uhr mit Ihrer Tafel stehen?

Weiß: Am nach ihm benannten Professor-Huber-Platz vor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Dort hat er bis zuletzt Philosophie, Psychologie und Musikwissenschaft gelehrt.

KNA: Sie konnten Ihren Großvater nicht mehr kennenlernen. Wann wurde Ihnen bewusst, mit wem Sie da verwandt sind?

Weiß: Schon sehr früh. Meine Mutter, die zwölf Jahre alt war, als ihr Vater geköpft wurde, hat offen über sein Schicksal gesprochen. Sie hing sehr an ihm und stellte sich auch immer wieder vor, wie das wohl mit der Hinrichtung gewesen sein mag. Da der Großvater viel zum bayerischen Volkslied geforscht hat, wurden sein Name und seine Hinrichtung später auch immer wieder im Bayerischen Rundfunk benannt, wenn dieser Volksmusik-Sendungen ausstrahlte.

KNA: Haben die turbulenten 1960er Jahre dazu beigetragen, dass Sie sich intensiver mit der politischen Rolle des Großvaters beschäftigt haben?

Weiß: Das kam bei mir erst später. Bei uns zu Hause wurde in erster Linie an den Menschen und weniger an den Aktivisten erinnert. Meine Großmutter war eine herzensgute und lebensfrohe Frau. Sie hat mit dem Schicksal nicht gehadert. Bilder ihres Mannes gab es natürlich in ihrem Zuhause. Regelmäßig gingen wir an sein Grab auf dem Münchner Waldfriedhof. Präsent war er auch, wenn darüber gesprochen wurde, was er in der einen oder anderen Situation wohl gesagt oder getan hätte.

KNA: Haben Sie ein Beispiel?

Weiß: Er war ja ein intelligenter, hochgeistiger Mann, der seine Doktorarbeit mit summa cum laude bestanden hatte. Es gibt so einige kuriose Anekdoten von ihm, etwa jene, als er bei einem Wasserrohrbruch gerufen wurde und ewig nicht kam. Der Grund war, dass er sich erst noch ordentlich anziehen und seine Krawatte umbinden wollte. Übrigens: In Michael Verhoevens Film „Die weiße Rose“ (1982) spielte der hochgewachsene Martin Benrath meinen Großvater. Dabei war dieser in Wirklichkeit ein kleiner Mann gewesen, der jung an Kinderlähmung erkrankt war und deshalb humpelte. Mit seinem Professorentalar haben später mein Bruder, meine Schwester und ich als Kinder im Fasching gespielt (lacht).

KNA: Ihr Großvater hat das sechste und letzte Flugblatt der Weißen Rose geschrieben.

Weiß: Er war ein eher konservativer Mensch aus dem Bildungsbürgertum. Deshalb ist vielleicht auch das Bewusstsein der jungen Leute zu Kurt Huber anders als zu den Geschwistern Scholl. Mit Sophie Scholl können sich heute noch viele identifizieren. In dem Flugblatt hat mein Großvater aber durchaus die Jugend aufgerufen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Er wollte, dass man aus den Universitäten die Parteibonzen rausschmeißt und die reine Forschung wieder zählt. Die Menschen sollten selbst entscheiden können und sich nicht vom Gedankengut irgendwelcher Partei-Organisationen einwickeln lassen.

KNA: Welchen Druck hat er erlebt?

Weiß: Er sollte sich in Berlin um das deutsche Volkslied kümmern. Da war er nur ein Jahr, dann wurde jemand anderes ihm vorgezogen. Auch in München hat er nie einen Lehrstuhl bekommen, sondern war nur außerplanmäßiger Professor. Erst nach dem Krieg wurde ihm posthum die Ehre eines ordentlichen Professors zuteil. Zu den philosophischen Vorlesungen von Kurt Huber strömten die Studenten, auch Fachfremde wie die Scholls, die ihn einfach mal hören wollten. Es hatte sich herumgesprochen, dass er stets frei redete und auch Dinge ansprach, die man nicht hätte sagen dürfen.

KNA: Was bleibt?

Weiß: Das letzte Flugblatt der Weißen Rose und auch seine Verteidigungsrede stehen heute beinahe in jedem Schulbuch. Mit meinem Onkel Wolfgang Huber, der viel über seinen Vater veröffentlicht hat, bin ich nach wie vor in regelmäßigem Austausch. Vergangenes Jahr habe ich bei der Münchner „Nacht der Museen“ aus den Briefen meines Großvaters, die er aus dem Gefängnis an seine Frau verfasst hat, vorgelesen. Alle schriftlichen Erinnerungsstücke sind größtenteils schon im Münchner Stadtarchiv.

KNA: Was würden Sie als Nachfahre der inzwischen zweiten Generation jüngeren Leuten gerne vermitteln?

Weiß: Mir ist wichtig, dass die Leute hinschauen, wie mit ihren Mitmenschen umgegangen wird. Niemand darf diskriminiert werden wegen seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner sexuellen Orientierung oder seiner politischen Einstellung. Ob in der Familie oder am Arbeitsplatz – niemand soll später sagen, er hätte nichts gewusst. Vor allem aber sollte jeder unsere Demokratie als Staatsform zu schätzen wissen und sich für diese einsetzen.