Star wider Willen

„Ich war nie ein Star, und ich hatte nie das Bedürfnis, ein Star zu sein“, sagte Liv Ullmann einmal. Aber ob sie will oder nicht: Die norwegische Schauspielerin ist eine der großen europäischen Film-Ikonen. Mit ihrer Darstellung von Frauen, die lernen, sich zu behaupten, verkörpert sie den emanzipatorischen Wandel der Gesellschaft. Sie steht für das goldene Zeitalter des europäischen Autorenfilms, ist aber bis ins hohe Alter aktiv.

Am 16. Dezember wird Liv Ullmann 85 Jahre alt, sie kam 1938 als Tochter norwegischer Eltern in Tokio zur Welt. Ihre Karriere ist untrennbar verbunden mit Meisterregisseur Ingmar Bergman (1918-2007). Die symbiotische Beziehung des Künstlerpaares begann 1966 mit dem suggestiven Psychodrama „Persona“. Der schwedische Regisseur besetzte die Norwegerin, eine damals bereits bekannte Theaterschauspielerin, an der Seite seiner damaligen Geliebten Bibi Andersson.

Ullmann spielt eine Frau, die auf unerklärliche Weise verstummt ist und sich spiegelbildlich ihrer Pflegerin anverwandelt. „Eigentlich verkörpere ich in dem Film Ingmar Bergman selbst, seine Ängste und existentiellen Zweifel“, sagte Ullmann in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ in diesem Jahr.

Insgesamt fünf Jahre lebt sie mit dem 20 Jahre älteren, egoistischen Genie auf der Ostseeinsel Fårö. Er nennt sie seine Stradivari, verlangt ihr privat und beruflich alles ab und dreht mit ihr, auch nach der Trennung, insgesamt elf meist autobiografisch gefärbte Filme.

Darunter ist auch das Epoche machende Meisterwerk „Szenen einer Ehe“ (1973). Es handelt vom Schiffbruch einer scheinbar harmonischen Ehe. Der Mann verliebt sich neu, will die Scheidung und kommt dann nicht von seiner Frau (Liv Ullmann) los, die sich ein neues Leben aufgebaut hat. Das Wechselbad der Gefühle, das dieses bürgerliche Paar durchleidet, wurde von Kritik und Publikum auch als Abbild des modernen Geschlechterkampfes erkannt. Nicht umsonst gilt das dialoglastige Drama als berüchtigter „Anti-Rendezvous-Film“.

Jessica Chastain, die im Serienremake „Szenen einer Ehe“ (2021) Ullmans Rolle neu interpretierte, schwärmt von ihrer Kollegin. Diese zelebriere die Zerbrochenheit, „weil es viel schöner ist, wenn etwas bricht und geheilt wird.“

Liv Ullmanns hochkomplexe Porträts äußerlich selbstsicherer und insgeheim verletzlicher Frauen machten Schule. In minutenlangen, oft quälenden Einstellungen feiert Bergman die besondere Einfühlungsgabe Ullmanns, deren seelenvolle kornblumenblaue Augen ein ganzes Leben widerspiegeln. Sie könnte „auch in einem Stummfilm jede Facette ihrer Rolle auf die Leinwand bringen, weil sie die Extreme des Ausdrucks beherrscht, ohne sich in Exaltiertheit zu verlieren“, lobte einmal ein Kritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. 2022 wurde sie mit einem Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Die Erforschung der weiblichen Psyche in Zeiten von Beziehungskrisen zieht sich auch durch die Bergman-Filme „Von Angesicht zu Angesicht“, „Schreie und Flüstern“ und „Herbstsonate“ (1978). In diesem Mutter-Tochter-Drama liefert sich Ullmann ein aufregendes Schauspielerinnenduell mit einer weiteren Film-Ikone, Ingrid Bergman in ihrem letzten Filmauftritt.

Nach dem Bruch mit dem Kultregisseur ging Ullmann mit der gemeinsamen Tochter Linn nach Hollywood. Dort habe man sie nicht mehr nur als die Neurotische aus den Bergman-Filmen gesehen, erinnerte Ullmann sich vor fünf Jahren im Deutschlandfunk: „Dort fanden mich alle hübsch und niedlich und boten mir alle möglichen Rollen an.“

Aber die Schauspielerin passte nicht ins System der Traumfabrik. Sie arbeitet seither vorrangig mit europäischen Autorenfilmern, kehrte zwischenzeitlich auch ans Theater zurück: In New York wurde sie für ihre Hauptrolle in Henrik Ibsens klassischem Emanzipationsdrama „Nora oder Ein Puppenheim“ gefeiert.

„Ich bin eine Frau, die es allen recht machen will“, sagt Liv Ullman im ihr gewidmeten Dokumentarfilm „Liv Ullmann – A Road Less Travelled“. Ihre Memoiren tragen den Titel „Wandlungen“. Darin schildert die Schauspielerin, die in den 1980ern auch als Unicef-Sonderbotschafterin aktiv war, ihre Erfahrungen als berufstätige, alleinerziehende Mutter.

Auch hinter der Kamera war Liv Ullmann erfolgreich, bereits für ihr Langfilm-Regiedebüt „Sofie“ (1992) erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Hätte sie früher angefangen und mehr Selbstsicherheit besessen, sagte sie im Deutschlandfunk-Interview, wäre „die Arbeit als Regisseurin wohl die richtige für mich gewesen.“