St. Joseph: eine Kirche zwischen Reeperbahn und Stripclubs

Ein ungewöhnliches Gotteshaus wird 300 Jahre alt: Mitten auf dem Hamburger Kiez liegt die katholische Kirche St. Joseph. Willkommen sind Partygänger und Prostituierte.

Nur ein paar Schritte von der Hamburger Reeperbahn entfernt liegt die katholische Kirche St. Joseph
Nur ein paar Schritte von der Hamburger Reeperbahn entfernt liegt die katholische Kirche St. JosephImago / Hanno Bode

Kneipen, Stripclubs, Spielhallen – und mittendrin ein Gotteshaus. Die katholische Kirche St. Joseph steht auf der Großen Freiheit, einer Seitenstraße der Hamburger Reeperbahn. Der barocke Bau liegt etwas zurückgesetzt, ist aber mit goldenem Kreuz und Heiligenfigur eindeutig als Kirche erkennbar. „Es gibt nichts, womit Jesus nicht fertig wird“, steht auf einer Mauer neben dem Eingangstor. „Wir sind das katholische Schaufenster auf dem Kiez“, sagt Pastor Karl Schultz. An diesem Wochenende feiert das Gotteshaus sein 300-jähriges Bestehen.

Die 1723 fertiggestellte Kirche hat nicht nur einen ungewöhnlichen Standort, sondern auch eine besondere Geschichte: Sie ist das erste katholische Gotteshaus in Nordeuropa, das nach der Reformation errichtet wurde. Im streng lutherischen Hamburg war es im 18. Jahrhundert noch verboten, katholische Kirchen zu bauen. Die damals eigenständige Stadt Altona gewährte jedoch Religionsfreiheit. Auf der Großen Freiheit – der Name ist Programm – siedelten sich daher mehrere religiöse Minderheiten an.

Toleranz schwebt über dem Viertel

„Die Toleranz, die damals hier herrschte, schwebt auch heute noch wie ein unsichtbares Tuch über unserem Stadtteil“, sagt Pastor Schultz, der seit 2010 im Amt ist. „Die Menschen auf St. Pauli gehen sehr tolerant miteinander um. Und wir als Kirche müssen und wollen uns nicht verstecken.“

Der Kiez-Pastor, wie er sich selbst nennt, pflegt gute Kontakte zu den Protagonisten im Viertel. Als Travestiekünstlerin Olivia Jones während des ersten Corona-Lockdowns eine Mahnwache zum Erhalt der Kiez-Kultur abhielt, sprach Schultz ein Gebet. Zum Abschluss des jährlichen Spielbudenfestivals von Theaterchef Corny Littmann feiert er zusammen mit seiner evangelischen Kollegin Sandra Starfinger einen Open-Air-Gottesdienst. Vor einigen Jahren stellte Panik-Rocker Udo Lindenberg seine Bilderserie zu den Zehn Geboten in St. Joseph aus.

Im Mai 2020 befragt Pfarrer Karl Schultz in einer Gesprächsrunde Olivia Jones zur Zukunft der Kultur im Viertel
Im Mai 2020 befragt Pfarrer Karl Schultz in einer Gesprächsrunde Olivia Jones zur Zukunft der Kultur im ViertelImago / Chris Emil Janßen

Alle paar Wochen öffnet die Gemeinde unter dem Motto „St. Joseph By Night“ samstagabends ihre Kirchentüren. Partygänger sind eingeladen, bei Musik und Gebet etwas Ruhe zu finden. Rund 400 bis 600 Menschen kommen an diesen Abenden. „Manche machen ein Foto und gehen wieder, andere setzen sich hin und verweilen“, so Schultz. „Viele sind überrascht, in dieser Gegend eine Kirche zu finden.“

Eine in Norddeutschland einzigartige Touristen-Attraktion ist die Gruft unter der Kirche, in der die sterblichen Überreste von rund 350 Menschen zu sehen sind. In dem lange vergessenen und erst 2015 wiedereröffneten Beinhauses reihen sich Schädel und Knochen aneinander.

Pfarrer segnet Homosexuelle

Schultz, der im vergangenen Jahr ein Buch über seine Erlebnisse auf dem Kiez veröffentlicht hat, will vor allem ein Hörender sein. Eine Zeit lang saß der 66-jährige Geistliche regelmäßig zu festen Zeiten in einer Kneipe namens „Sünde“ zum Gespräch. Für Prostituierte bietet er regelmäßig eine Seelsorgesprechstunde an. Segnungen für Homosexuelle, die in der katholischen Kirche offiziell verboten sind und über die gerade beim Reformprozess Synodaler Weg heftig gestritten wurde, nimmt er schon seit vielen Jahren vor.

„Gesamtgesellschaftlich ist die Kirche nicht mehr so als Sinngeber gefragt, woran sie selbst nicht ganz unschuldig ist“, meint Schultz. „Hier auf dem Kiez ist das anders. Ich zwinge niemandem Glaubensgespräche auf, aber oft entwickeln sich welche.“

Keine Sorge um die Zukunft

Anfeindungen erlebe die Gemeinde kaum. „Manchmal kommt es vor, dass jemand, der gekifft oder stark getrunken hat, mal ein bisschen auf den Putz haut. Aber sonst kennen wir das eigentlich nicht.“

Das 300-Jahr-Jubiläum der Kirche wird ab Samstag mit einer Festwoche gefeiert, und zwar unter dem biblischen Motto „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“. Auf dem Programm stehen unter anderem ein Gottesdienst mit dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße sowie eine Ausstellung eines Berliner Künstlers.

Um die Zukunft von St. Joseph macht sich Pastor Schultz trotz bundesweit sinkender Mitgliedszahlen der Kirchen keine Sorgen: „Wir haben hier eine Aufgabe. Unsere Kirche wird so schnell nicht geschlossen werden.“