Sprechstunde am Einkaufszentrum: Das Hebammen-Mobil hilft Schwangeren in Not

Viele Schwangere haben Probleme, eine Hebamme zu finden. Das nach Angaben der Betreiber europaweit erste Hebammen-Mobil in Nordrhein-Westfalen soll helfen, Versorgungsengpässe abzufangen.

Hebamme Lisa Schütte vor ihrem voll ausgestatteten Hebammenmobil
Hebamme Lisa Schütte vor ihrem voll ausgestatteten Hebammenmobilepd-bild / Meike Boeschemeyer

Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums in Wachtberg-Berkum stehen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Mittendrin: ein weißer Bus mit dem rot-gelben Aufdruck „Hebammenmobil“. Gerade klopft eine Frau an die Falttür des Fahrzeugs. „Hallo, ich habe Sie hier gerade gesehen und wollte Sie etwas fragen.“ So beginnen viele Gespräche, die Lisa Schütte führt. Seit März vergangenen Jahres steht die Hebamme mit dem Bus des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) freitags in dem Ort südlich von Bonn.

„Seit zwei Monaten sucht meine Schwiegertochter einen Geburtsvorbereitungskurs und bekommt nur Absagen“, erzählt ihr die Besucherin aufgeregt. Und auch die Suche nach einer Entbindungsstation sei bislang erfolglos. Schütte bietet der Frau einen Beratungstermin für die Schwiegertochter an.

Geschichten wie diese erlebe sie seit etwa zwei Jahren immer öfter, berichtet die Hebamme. Sogar Schwangere in den Wehen würden teilweise von Geburtsstationen abgewiesen, weil diese überlastet seien. „Wo sollen die Frauen hin? Es ist eine Katastrophe.“

Kurzfristige Termine im Hebammenmobil

Zugleich wird es für junge Mütter immer schwieriger, Hilfe von einer Hebamme vor und nach der Geburt zu bekommen. „Vor allem auf dem Dorf sind Hebammen Mangelware“, berichtet Nathalie Roeder, die mit ihrer Tochter Luisa an dem kleinen Tisch im Hebammenmobil Platz genommen hat. „Deshalb bin ich froh, dass ich hier kurzfristig Termine bekommen kann.“ Der Bus – nach Angaben des ASB europaweit der erste seiner Art – beherbergt eine vollständig ausgestattete Hebammenpraxis inklusive Untersuchungsliege und Wehenschreiber.

Mit dem Hebammenmobil habe der ASB zunächst auf die Unterversorgung Schwangerer und junger Mütter in den Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz reagiert, die im Sommer 2021 überflutet worden waren, sagt Projektleiterin Stefanie Könitz-Goes. Die Gemeinde Wachtberg liegt nicht weit vom Ahrtal. Der Bus steuert auch regelmäßig Bad Neuenahr an, wo erst im Dezember der Kreißsaal im örtlichen Krankenhaus geschlossen wurde. Außerdem hält das Hebammenmobil wöchentlich in den Eifelorten Mechernich und Schleiden-Gemünd.

In einem großen Auto ist eine Liege und eine Bank. Zwei Frauen sitzen sich gegenüber. Eine gibt der anderen Medikamente. Die zweite hat ein Baby auf dem Arm.

Im Frühjahr soll das Projekt auf weitere Orte in Nordrhein-Westfalen ausgedehnt werden. „Das Thema Unterversorgung wird sich extrem zuspitzen und damit müssen wir Ausweichmöglichkeiten schaffen“, sagt Könitz-Goes.

Der Versorgungsengpass hat sich aus Sicht des Deutschen Hebammenverbandes seit Langem angebahnt. „Seit 1990 hat sich die Zahl der geburtshilflichen Stationen in Deutschland praktisch halbiert“, sagt Verbands-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. Zwischen 1991 und 2017 sank die Zahl der Geburtsstationen laut Statistischem Bundesamt von 1.186 auf 672. Nach einer Erhebung der bundesweiten Elterninitiative Mother Hood e.V. wurden seitdem mindestens weitere 51 Stationen aufgegeben.

Zugleich würden aber heute wieder fast so viele Kinder in Deutschland geboren wie 1990, sagt Geppert-Orthofer. „Dies führt dazu, dass in den verbliebenen Geburtshilfeabteilungen doppelt so viele Geburten betreut werden wie vor 30 Jahren.“ Die Folge: Hebammen müssten mittlerweile bis zu vier Geburten parallel betreuen.

Schließung von Geburtsstationen politisch gewollt

Als Grund für die Schließungen werde häufig Personalmangel angegeben, sagt Geppert-Orthofer. „Schwerwiegender ist jedoch, dass sich Geburtshilfe in unserem Abrechnungssystem wirtschaftlich nicht lohnt. Bessere Arbeitsbedingungen würden den Fachkräftemangel beheben, aber dafür ist bislang kein Geld dagewesen.“

Zudem sei die Schließung kleinerer Geburtsstationen durchaus politisch gewollt, sagt Katharina Desery, Vorstand des Vereins Mother Hood. Die Zentralisierung der Geburtshilfe bedeute aber nicht automatisch, dass die Hebammen aus den geschlossenen Stationen andernorts im Einsatz seien. „Viele orientieren sich um und stehen auch für die Geburtsvorsorge vor Ort nicht mehr zur Verfügung.“

Lange Anfahrt bürgt Risiko

Für die Schwangeren bedeute die Schließung von Geburtsstationen längere Anfahrtswege und damit ein höheres Risiko, kritisieren Geppert-Orthofer und Desery. Der Weg zum nächsten Kreißsaal darf in Deutschland 40 Minuten betragen. So hat es der Gemeinsame Bundesausschuss festgelegt, der über Leistungsansprüche der Krankenversicherten entscheidet. Diese Fahrtdauer halten Desery und Geppert-Orthofer für willkürlich und deutlich zu lang.

Der Deutsche Hebammenverband fordert daher, die Schließungswelle kleinerer Geburtsstationen zu stoppen. Vielmehr müssten regional zusätzliche qualitätsgesicherte außerklinische Angebote wie hebammengeleitete Kreißsäle, Geburtshäuser oder Hausgeburtshilfe geschaffen werden. Neue Konzepte bei der Versorgung Schwangerer und junger Mütter würden dringend gebraucht, ist auch Könitz-Goes sicher. „Deshalb werden Modelle wie das Hebammenmobil sicher Schule machen.“