Sportpsychologe: Hohe Erwartungen können Krisen auslösen

Im Profifußball schlittern Mannschaften immer wieder in Krisen – und schassen dann den Trainer oder kaufen neue Spieler. Ein Sportpsychologe erklärt, warum Maßnahmen zum Teambuilding effektiver sein könnten.

Bei der Fußball-WM der Männer 2022 in Katar flog die deutsche Nationalmannschaft schon in der Vorrunde heraus, 2023 verlor sie unter anderem ein Testspiel gegen Österreich für die am Freitag beginnende Europameisterschaft. Darko Jekauc, Professor am Institut für Sport und Sportwissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), hat sich nun angeschaut, wie Krisen im Profifußball überhaupt zustande kommen – und als typischen Auslöser nennt der Sportpsychologe in einem Video-Interview des KIT zum Beispiel “sehr große Erwartungen” an die Mannschaft.

“Die Mannschaft soll möglichst genauso abschneiden wie letztes Jahr und ungefähr das gleiche Level erreichen wie in den letzten Jahren. Und dann läuft in diesem Jahr etwas anders”, beschreibt Jekauc den Beginn einer Abwärtsspirale. Die Mannschaft kassiere etwa kurz vor Schluss ein Gegentor, verliere und stehe plötzlich drei oder vier Plätze weiter unten. “Das setzt einen Prozess in Gang, der ziemlich verheerende Konsequenzen hat auf die Psyche der Spieler”, erklärt der Sportprofessor.

Auf Ebene des einzelnen Spielers gingen Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen herunter; sie fingen an, an sich selbst zu zweifeln. Und auch körperlich könne sich Versagensangst bemerkbar machen, etwa an erhöhtem Blutdruck oder veränderter Körpersprache. Die Effekte auf den einzelnen Spieler wirkten sich wiederum schnell auf die Mannschaft auf. “Die Atmosphäre im Team verändert sich, die Kommunikation fängt an zu leiden”, erklärt Jekauc. Das führe zu Grüppchenbildung innerhalb der Mannschaft; der Zusammenhalt schwinde.

“Das ist, was man am Ende auch auf dem Feld sieht”, sagt der Professor. Die Mannschaft stehe nicht als eine Einheit da, sondern als “Ansammlung von Individuen, die versuchen, ihre Fehler zu vermeiden”. Kein Spieler wolle verantwortlich sein für den Ballverlust, der dann vielleicht zum nächsten Gegentor führe. So würden riskante Pässe und Dribblings im Spiel vermieden. “Das führt dazu, dass die Mannschaft nicht mehr so kreativ ist und nicht mehr überraschende Momente hat, um den Gegner zu schlagen”, analysiert Jenkauc, für dessen Studie laut Angaben ausführliche Interviews mit sechs aktuellen und drei ehemaligen Profifußballern geführt wurden.

Im Weg aus der Krise ist den Forschern zufolge “das direkte Umfeld einer Profimannschaft” gefordert – also etwa Trainer und Management. Sie müssten unterstützende Strategien entwickeln, die die Resilienz, also Widerstandskraft der Spieler stärke und die Teamdynamik erhalte. Denn vielen Krisen liege ein psychologisches Problem zugrunde – das sei nicht mit dem Kauf neuer Trainer oder Spieler zu lösen. Dies seien schlicht Versuche, ein Problem mit finanziellen Mitteln zu lösen.

In einer akuten Krise könnten zudem etwa psychologische Hilfen für die Spieler oder Aktivitäten zum Teambuilding sinnvoll sein. Um langfristig Krisen entgegenzuwirken, müsste allerdings schon im Jugendbereich damit angefangen werden, Resilienz aufzubauen, sagt Jekauc.