Sport und Sportwette nicht verquicken – Gefahr der Verharmlosung
44 Milliarden Euro – so viel Geld haben die Deutschen im Jahr 2022 in Glücksspiele investiert. Der Bundessuchtbeauftragte Blienert fordert stärkere Regulierungen, um Sucht einzudämmen und Kinder besser zu schützen.
Pferdewetten, Sportwetten, Bingo, Roulette, Online-Spiele oder Spiele an Geldautomaten: Es gibt in Deutschland viele Möglichkeiten, sein Geld aufs Spiel zu setzen, es zu verlieren – und trotzdem süchtig zu werden. 1,3 Millionen Menschen haben nach Zahlen des aktuellen Glücksspielatlas, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde, eine Glücksspielstörung. Drei Millionen Menschen spielen laut Daten riskant.
Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf, um Glücksspielsucht zu bekämpfen. Um Jugendliche besser schützen zu können, müsse Sportwettenwerbung etwa im TV vor 23 Uhr verboten werden. Durch die Verquickung von Sport und Sportwetten finde eine gefährliche Verharmlosung statt, kritisierte er. Fast jeder Dritte, der eine Sportwette abschließen, weise eine Glücksspielstörung auf.
Glücksspielstörung – das heißt, dass die Menschen durch die Teilnahme an Automatenspielen, Sportwetten und anderen Glücksspielen gesundheitliche, finanzielle oder auch soziale Probleme entwickelten.
Glücksspielsucht ruiniere Existenzen, zerstöre Familien, treibe Menschen in den Suizid, betonte Blienert und forderte grundsätzlich wirkungsvollere Jugendschutzregelungen. Es stimme etwas nicht, wenn Jugendliche bei Online-Spielen durch sogenannte Lootboxen „in scheinbar harmlosen Games gezielt auf das Spiel mit Geld und vermeintlichem Glück gelockt werden“. Ähnlich wie beim Sport finde auch bei diesen Spielen eine Vermischung von Glücks- und Computerspielen statt, die die Jugendlichen in Versuchung führe.
Zudem brauche es „dringend wirkungsvollere Maßnahmen gegen das illegale Automaten- und Onlinespiel“, so Blienert weiter. Vier von zehn Teilnehmenden an Geldspielautomaten haben demnach eine Glücksspielstörung; gerade durch Spiele an illegalen Automaten etwa in Hinterzimmern von gastronomischen Betrieben sei die Gefahr für Minderjährige besonders groß. „Illegales Spiel heißt schutzloses Spiel“, hieß es.
Auch präventive Maßnahmen müssten gestärkt werden, erklärte der Bremer Glücksspielforscher Tobias Hayer. Glücksspielanbieter etwa seien verpflichtet, Spieler- und Jugendschutz wirksam zu erreichen, etwa durch Sperrung von Spielern. Laut Forschung erfolgen aber nur ein Prozent der Sperrungen durch Anbieter. „Glücksspielsucht ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und das wollen wir als Gesellschaft nicht“.
Besonders betroffen von Glücksspielsucht sind demnach vor allem Männer, junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und Mitglieder von Sportvereinen sowie deren Fans. Hayer sagte, Menschen mit Migrationshintergrund beteiligten sich zwar grundsätzlich weniger am Glücksspiel. „Wenn sie aber zocken, sind sie gefährdeter, abhängig zu werden“.
Ursache dafür kann laut Forschung etwa der Versuch sein, auf der Flucht erlittene Traumata durch das Spiel als eine Art Selbstmedikation zu bekämpfen. Zudem befänden sich Migranten häufiger am Rande der Gesellschaft, so dass das Geld sie mutmaßlich stärker verlocke. Ein weiterer Grund könne sein, dass sie sich stark in Subkulturen wie etwa Teestuben bewegten und dort möglicherweise mit dem Glücksspiel groß würden.
Grundsätzlich ist die Teilnahme an Glücksspielen laut Daten rückläufig. In Deutschland nahmen im Jahr 2021 demnach 30 Prozent der Bevölkerung an Glücksspielen teil. Im Jahr 2007 hatte dieser Anteil noch 55 Prozent betragen.