„Spielen oder nicht spielen“ über Hindernisse in der Theaterwelt
„Spielen oder nicht spielen“ ist ein dokumentarisches Porträt von zwei Schauspielerinnen mit körperlichen Behinderungen. Sie haben den Beruf ergriffen, obwohl die Theaterwelt vielfach nicht auf Inklusion eingestellt ist.
In Deutschland leben derzeit etwa 13 Millionen Menschen mit einer Behinderung – 16 Prozent der Gesamtbevölkerung. Von den rund 5.000 Schauspielern und Schauspielerinnen, die fest an deutschen Stadt- oder Staatstheatern engagiert sind, haben 15 Prozent eine Behinderung. Mit den Zahlen wartet der Abspann von Kim Münsters und Sebastian Bergfelds Dokumentarfilm „Spielen oder nicht spielen“ auf.
Zuvor sind die Zuschauer 80 Minuten lang den beiden talentierten und mutigen Protagonistinnen des Films gefolgt: der Münchnerin Lucy Wilke und der Kölnerin Yulia Yanez Schmidt. Beide haben eine körperliche Behinderung und spielen im Ensemble eines Stadttheaters; doch bis dahin mussten sie etliche Hürden überwinden, die ihnen in dem vermeintlich so offenen Theatermilieu in den Weg gestellt wurden.
Alles fängt damit an, dass Theaterschulen, darunter eine so renommierte wie die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Leitlinien über die physische und psychische Unversehrtheit ihrer Kandidaten aufstellen. So wurde Yanez Schmidt in eben dieser Institution suggeriert, dass sie den Strapazen der Ausbildung physisch nicht gewachsen wäre.
Die junge Frau hat seit ihrer frühen Kindheit das Amnionbandsyndrom, weswegen sie Fehlbildungen an den Extremitäten hat. Seit ihr ein Unterschenkel amputiert wurde, trägt sie eine Prothese. Von dem Wunsch, Schauspielerin zu werden, hat sie sich jedoch nie abbringen lassen. Als schließlich das inklusive Schauspielstudio Wuppertal eine Ausbildung für Menschen mit Behinderungen ermöglicht, nutzt sie die Chance, spricht vor und wird genommen.
Ähnliche Mühsal auf dem Weg zu ihrer Berufung hat auch Wilke auf sich genommen. Die junge Frau sitzt im Rollstuhl, denn sie hat die Muskelerkrankung SMA (Spinale Muskelatrophie). Sie hat ein bewegtes Leben als Wanderschauspielerin hinter sich, bevor sie ein Engagement an den Münchner Kammerspielen annimmt.
Sie wuchs in einer kulturbegeisterten Familie auf und lebte ihre Kindheit alternativ und glücklich in einem Wohnwagen. Ihre Eltern ermutigten sie stets, ihren Träumen zu folgen. Vielleicht ist sie auch deshalb so selbstbewusst und gelassen. So weigert sie sich etwa, sich über die Hunderte Meter von Extrawegen aufzuregen, die ihr als Rollstuhlfahrerin jeden Tag in München auferlegt werden.
Mit ihrem Freund und persönlichen Assistenten, der sie täglich begleitet, kann sie anfangs nicht einmal das Theater betreten, da Schwellen, Treppen und verschlossene Türen ihr einen Zutritt unmöglich machen.
Barrieren in den Köpfen bestehen bei Nichtbehinderten am Theater weiter. Die Gründe für die Stagnation schieben sich die Beteiligten gegenseitig in einem Teufelskreis an (Pseudo-)Argumenten zu. Die Häuser beklagen einen Mangel an ausgebildeten Schauspielern mit Behinderungen, und Schauspielschulen behaupten, keine auszubilden, weil sie ohnehin keine Bühne annähme.
So pendelt der Film zwischen den beiden Schauspielerinnen hin und her, lässt sie von ihren Erfahrungen und aus ihrem Leben berichten und bebildert ihren Arbeitsalltag. Yulia probt Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Auch Premiereneindrücke liefert der Film. Für Lucy, die nun auf einer für sie gebauten Holzrampe zur Probebühne gelangt, sind die Proben anstrengender. Ihr Körper erlaubt ihr nicht alle Bewegungen. Alles dauere bei ihr nun einmal länger, erklärt sie.
Zwischendurch kommen Theaterleute und -experten zu Wort. Der Theaterwissenschaftler Peter W. Marx erklärt einen Mangel an Bewusstsein für Inklusion damit, dass Theater ein Spiegel der Gesellschaft sei. Der Theaterkritiker Georg Kasch berichtet, wie er bei der Beurteilung einer inklusiven Inszenierung versuche, immer nur ihre Qualität zu beurteilen, auch wenn er anfangs den Impuls habe, so eine Produktion automatisch positiv zu bewerten.
In einer historischen Exkursion evoziert der Dokumentarfilm auch finstere Zeiten, in denen Menschen mit Behinderungen in Freakshows ausgestellt, verlacht und gedemütigt wurden. Zwar ist die heutige Gesellschaft weiter, doch Scheuklappen bestehen weiterhin.
Doch letztlich gehört der Film den Protagonistinnen. Optimistisch und realistisch, aber niemals vorwurfsvoll oder klagend, gehen sie durch das Leben. Die Erfahrung lehrt sie dennoch, nicht zu viel von ihren Mitmenschen und ihrem Milieu zu erwarten. Auf Lob, das ihre Behinderung thematisiert, kann Yulia verzichten, genauso wie auf Angebote, die sie aufgrund, nicht trotz, ihrer Behinderung bekommt. Heute ist sie Mitglied des Ensembles am Düsseldorfer Schauspielhaus. Zwar bleibt in den darstellenden Künsten beim Thema Inklusion noch viel zu tun. Doch Yulia und Lucy zeigen, was möglich ist.