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Soziologin: Gemeinden gehen selten auf Missbrauchsbetroffene zu

Aus Sicht der Münchner Soziologin Helga Dill gehen katholische Gemeinden, in denen nachweislich Missbrauch geschehen ist, zu selten aktiv auf Betroffene zu. “Die Einstellung, Betroffene seien selbst verantwortlich dafür, sich zu melden, findet sich häufig”, sagte die Autorin eines Missbrauchsgutachtens für das Bistum Essen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Den Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, sich zu zeigen, sowie nach weiteren zu suchen, begriffen viele Gemeinden nicht als ihre Aufgabe.

Zu typischen Mustern in Gemeinden im Umgang mit Missbrauch zählte die Expertin auch, “nicht hinschauen zu wollen”, aber auf der anderen Seite positive Erinnerungen an beliebte Priester hochzuhalten, obwohl diese Missbrauch begangen haben. Das Idealbild vom Pfarrer, auf den man nichts kommen lassen wolle, verhindere viel an Aufarbeitung – “vor allem, dass Gemeindemitglieder auch hinsichtlich ihrer eigenen Verstrickung kritischer hinschauen”. Dabei gehe es vor allem darum, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

Nach Dills Beobachtungen gab es in den betroffenen Gemeinden oft Gerüchte und latentes Wissen sowie immer wieder auch Betroffene, die sich zeitnah zu Wort gemeldet hätten: “In der Regel ist darauf nichts gefolgt – oder im Gegenteil wurden Betroffene deshalb sogar ausgegrenzt oder gemobbt.” Schuldgefühle aufseiten der Gemeindemitglieder hingen mit dem Ausblenden des Leids der Betroffenen oft direkt zusammen.

Selbst wenn Missbrauch Jahrzehnte zurückliege, belasteteten traumatische Ereignisse betroffene Gemeinschaften oft über mehrere Generationen, so die Expertin weiter. Um Missbrauch zu verhindern, müssten Menschen intensiver auf eigene Strukturen, eigene Fälle und eigene Verhaltensweisen schauen.