Sozialsystem: Vielgleisig, aber ohne Querverbindungen

Immer mehr Bahnhofsmissionen werden zur Anlaufstelle für Menschen, die aus allen sozialen Netzen fallen. Um sie aufzufangen, fehlt es vor allem an professionellem Personal, wie ein Gepräch mit Diakonie-Referentin Karen Sommer-Loeffen zeigt

Die überwiegend ehrenamtliche Arbeit der Bahnhofsmissionen ist in den letzten Jahren wichtiger für Reisende, Flüchtlinge und Menschen in Not geworden. Deshalb wünscht sich Diakonie-RWL-Referentin Karen Sommer-Loeffen mehr finanzielle Unterstützung und Helferinnenn und Helfer für diese wichtige soziale Arbeit. Mit ihr sprach Sabine Damaschke.

Deutschlandweit gibt es 103 Bahnhofsmissionen. 24 Standorte davon betreuen Sie als Referentin der Diakonie RWL. Wie hat sich die Hilfe am Bahnsteig, die ja schon über 100 Jahre alt ist, verändert?
Die Bahnhofsmissionen sind für alle Menschen da, die Hilfe brauchen. Ein großer Teil besteht aus Reisenden, die beim Umsteigen begleitet werden, weil sie alt sind oder eine Behinderung haben. Wenn es aufgrund von Streiks, Unglücken oder Stürmen zahlreiche Zugausfälle gibt, helfen unsere Mitarbeitenden mit Auskünften, Getränken und anderen praktischen Hilfen.
Die andere große Gruppe, die die Bahnhofsmission betreut, sind Menschen, die soziale Unterstützung benötigen: Wohnungslose, Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten aus Osteuropa. Mittlerweile hat fast jeder vierte Gast einen Migrationshintergrund. Unsere Mitarbeitenden wissen, wo sie vor Ort Hilfe bekommen und vermitteln sie an die jeweiligen Beratungsstellen und Behörden. Doch seit einigen Jahren kommen immer mehr Menschen, die schon überall waren und offenbar durch alle sozialen Netze gefallen sind. Das macht den Bahnhofsmissionen große Sorgen.

Wie versuchen die Mitarbeitenden zu helfen?
Das Problem ist meistens, dass diese Menschen eine Vielzahl von Schwierigkeiten haben, ihnen in unserem ausdifferenzierten Sozialsystem aber nur in einer Hinsicht geholfen wird. Es gibt zu wenig Brücken zwischen den sozialen Hilfen. Eine gute Vernetzung fehlt.
Die Bahnhofsmissionen versuchen diese Brücken zu schlagen, aber dafür brauchen die Mitarbeitenden nicht nur sehr gute Kenntnisse der sozialen Anlaufstellen und Projekte vor Ort. Sie müssen auch erkennen, was dem jeweiligen Menschen, der sich ihnen auf dem Bahnhof anvertraut hat, überhaupt helfen könnte. Dafür sind intensive Gespräche, aber auch Schulungen und mehr professio­nelles Personal nötig.
Unsere überwiegend ehrenamtliche soziale Arbeit erhält so gut wie keine Fördermittel und ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Die Bahnhofsmissionen müssen deshalb viel Fundraising machen. Das aber kostet Zeit und Kraft. Es wäre gut, wenn ihre wichtige soziale Arbeit nicht nur mit Spenden und Kirchensteuermitteln finanziert würde, sondern auch staatliche Zuschüsse erhielte.

Wenn die soziale Arbeit am Bahnhof komplexer und schwieriger geworden ist, braucht es mehr professionelle, aber auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Wie attraktiv ist das Ehrenamt in der Bahnhofsmission?
Insgesamt haben die Bahnhofsmissionen in Deutschland etwa 2000 ehrenamtliche Helfer, gut 600 von ihnen sind unter dem Dach der Dia­konie RWL und der Kirchen tätig. Viele identifizieren sich stark mit ihrer Tätigkeit und engagieren sich daher auch lange Jahre in der Bahnhofsmission.
Eine Studie hat gezeigt, dass sie durchschnittlich 35 Stunden monatlich in den Einrichtungen tätig sind. Das ist, gemessen an den 16 Stunden, die durchschnittlich pro Monat in Deutschland für ein Ehrenamt investiert werden, fast doppelt so viel. Die Mehrheit ist zwar über 50 Jahre alt, aber in die Teams kommen zunehmend Jugendliche und junge Erwachsene.
Es wäre ferner hilfreich, wenn wir mehr Sozialarbeiter einstellen könnten, die die Ehrenamtlichen betreuen und für die zunehmend komplexeren sozialen Aufgaben schulen.