Sozialdrama um eine Frau, die vom Opfer zum Täter wird

Eine pensionierte Lehrerin wird Opfer eines Telefonbetrugs, bei dem sie all ihre Ersparnisse verloren hat. Fortan sinnt sie auf Auswege, wie sie finanziell überleben kann.

Die 70-jährige Blaga (Eli Skorcheva) ist ein Mensch, der andere sofort verbessert, wenn sie sprachliche Fehler machen. Stets wirkt sie ein wenig streng und herrisch, das wandelnde Klischee einer ehemaligen Lehrerin. Blaga lebt in der bulgarischen Provinz und ist seit kurzem Witwe; mit der Urne ihres verstorbenen Mannes hält sie stille Zwiesprache. Auch die Bestattung des Ex-Polizisten soll ganz nach Vorschrift erfolgen. Doch der Bestatter, ein zwielichtiger Unternehmer, treibt den Preis für die Grabstelle immer mehr in die Höhe.

Die Finanzierung einer würdigen Begräbnisstelle wird noch schwieriger, weil die Frau Opfer eines Telefonbetrugs wird, mit dem skrupellose Verbrecher ältere Menschen um ihre Ersparnisse bringen. Ein Anrufer gibt vor, ein Polizeikommissar zu sein und Blaga vor einem Überfall bewahren zu wollen. Sie solle all ihr Bargeld und alle anderen Wertsachen in eine Plastiktüte packen und aus dem Fenster werfen. Die Ex-Lehrerin gerät in Panik und hält sich sklavisch an die Anweisungen des Anrufers. Als man sie auf der Wache über den Betrug aufklärt, bricht eine Welt zusammen. Das ganze Geld vom Verkauf ihres Hauses ist weg: ihre komplette Altersversicherung.

Nun ist Blaga nicht nur mittellos, sondern auch dem Spott ihrer Ex-Kolleginnen und der Nachbarschaft ausgesetzt. Sie muss von ihrer spärlichen Rente und dem mageren Honorar leben, das ihr eine junge Sprachschülerin zahlt. Die stammt aus einem Kriegsgebiet und muss für die bulgarische Staatsbürgerschaft einen Sprachtest bestehen. Blaga bewirbt sich auch um schlechtbezahlte Jobs. Doch angesichts ihres fortgeschrittenen Alters wird sie immer wieder abgelehnt. Da besinnt sie sich eines Tages vor lauter Verzweiflung auf einen Broterwerb der zwielichtigen Art. Sie wird vom Opfer zur Täterin.

Die bulgarische Schauspielerin Eli Skorcheva spielt Blaga zurückgenommen und eindringlich zugleich. Das Haar hat sie streng nach hinten gekämmt und stets zu einem Dutt gebündelt. Außerdem trägt sie immer dasselbe freud- und farblose Outfit. Ihre Kleidung spiegelt ihren strengen Charakter, aber auch ihre missliche finanzielle Lage wider.

Die mit einem gewissen Dünkel behaftete Frau, die nie Verständnis für die Fehler der anderen aufbrachte, ist selbst tief gefallen. Daran leiden ihr Selbstverständnis und ihre Ehre. In einer von Ellenbogenmentalität geprägten Gesellschaft kann Blaga nicht glänzen.

Doch Regisseur Stephan Komandarev belässt es in dem packenden Drama nicht bei der Charakterisierung der Protagonistin, sondern bettet ihr Schicksal in eine genaue Beobachtung der bulgarischen Gesellschaft ein. In der von sozialistischer Plattenbauarchitektur bestimmten Provinzstadt Schumen kann man ohne Geld oder Beziehungen nicht viel erreichen. Im Film ist der Himmel über der Stadt häufig bedeckt. Der Schnee aus dem vergangenen Winter taut gerade, ohne – buchstäblich und symbolisch – eine Perspektive für die Bewohner aufzuzeigen. Skrupellose Unternehmer wie der Bestatter berufen sich für ihre krummen Geschäfte auf die Marktwirtschaft und buckeln gleichzeitig vor Würdenträgern. Blagas Sohn sucht sein Glück derweil in den USA. Auch er ist wirtschaftlich orientiert, will sein Geld aber auf ehrliche Weise verdienen.

Gegen Ende des ersten Drittels droht der Film mit einer Aneinanderreihung von Malheurs vollends ins Elend zu kippen, doch dann erfährt er eine überraschende Wendung. Sie erscheint als logische Kumulation und Eskalation aller zuvor geschehenen Ereignisse und ergibt erzählerisch und atmosphärisch Sinn. Das anfängliche Drama entwickelt sich zu einem handfesten und packenden Krimi.

Für die Protagonistin gibt es kein Entrinnen. Dafür steht sinnbildlich auch das 450 Meter hohe Denkmal „1300 Jahre Bulgarien“, das auf einem Berg in Schumen errichtet wurde. Bis zur Spitze sind es 1.300 Stufen, die Blaga mit letzter Kraft emporsteigt. Doch oben erwartet sie ein monumentaler Betonbau, Symbol eines Landes, das sich nach Größe sehnt, im Alltag jedoch noch seine Hausaufgaben machen muss.