Sonderschau über die zwielichtige Rolle der Kirchen zur NS-Zeit

In den Kirchen gab es während der NS-Zeit mutige Widerständler, aber auch willfährige Unterstützer des Regimes. Eine Sonderausstellung im ehemaligen Kloster Dalheim bei Paderborn beschäftigt sich mit der zwielichtigen Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus.

Am Anfang steht eine Frage: “Und vergib uns unsere Schuld?” So lautet der Titel der Sonderausstellung, die am kommenden Freitag im Landesmuseum für Klosterkultur im ehemaligen Kloster Dalheim bei Paderborn beginnt. Ein Jahr lang, bis zum 18. Mai 2025, geht es in dem Klostermuseum um das komplexe Thema “Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus”.

200 Exponate haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen: Fotografien und Alltagsgegenstände, Briefe und Tagebücher, Erinnerungsberichte und erstmals veröffentlichte Dokumente aus den vatikanischen Archiven. Genug Fakten, die die zwielichtige Rolle der Kirchen während der NS-Zeit belegen.

Es gab die bekannten christlichen Widerständler: Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) beispielsweise auf der evangelischen Seite, Kardinal Clemens Graf von Galen (1878-1946) oder den Jesuitenpater Alfred Delp (1907-1945) auf der katholischen. Der christliche Glaube motivierte auch die Widerstandsgruppe “Weiße Rose”.

Kirchenvertreter und Ordensleute befanden sich in einer bedrohlichen Lage. Sie wurden von der Geheimen Staatspolizei beobachtet und waren Ziel öffentlicher Hetze. Christen jüdischer Herkunft und Zeugen Jehovas verfolgte das Regime unbarmherzig. Nicht weit von Dalheim befand sich im Ort Wewelsburg das Konzentrationslager Niedernhagen, in das Zeugen Jehovas gequält, zu Zwangsarbeit gezwungen und getötet wurden.

Auf der anderen Seite waren es aber beispielsweise die Barmherzigen Schwestern des heiligen Vincenz in Kaufbeuren-Bad Irsee, die dazu beitrugen, dass Patienten verhungerten oder deportiert wurden. An der Heimatfront waren die Kirchen Teil der Kriegsgesellschaft. In Berlin betrieben zwei katholische und 26 evangelische Gemeinden ein Lager für Zwangsarbeiter. Im westfälischen Marsberg trugen katholische Schwestern ordentlich eine bestürzend hohe Zahl von Todesfällen in das Sterbebuch ein. Es handelte sich um ermordete Jugendliche.

Die Ausstellung veranschaulicht die strukturelle Einbindung der christlichen Kirchen in die Nazi-Herrschaft. In der evangelischen Kirche setzte sich ab 1933 eine “geeinte Reichskirche” für ein “artgerechtes Christentum” ein. Gegen diesen Gleichschaltungsversuch wehrte sich indes die “Bekennende Kirche”. Die katholische Kirche arrangierte sich 1933 mit dem Regime und übte sich lange Zeit in “abwartendem Schweigen”, wie der Münsteraner Theologe Hubert Wolf in einem Beitrag zur Ausstellung schreibt.

Der Kirchenhistoriker ist mit seinen Forschungen zu Papst Pius XII. bekannt geworden und hat sich an der Ausstellungskonzeption beteiligt. Pius XII. wird vorgeworfen, zur Verfolgung und Vernichtung der Juden geschwiegen zu haben, obwohl er bestens informiert war. Einige der vielen Briefe, die das katholische Oberhaupt von verzweifelten Bittstellern erreichten und die bislang in den Vatikanischen Archiven ruhten, sind in der Ausstellung als Reproduktionen zu sehen.

Die katholische Kirche half mit Einreisevisa, Tickets für Schiffspassagen und Ausreisegenehmigungen aus Italien. Aber der Papst schwieg. Aus taktischen Gründen? Wohl auch, weil er glaubte, neutral sein zu müssen, konstatiert Wolf. Der moralischen Verpflichtung, als Stellvertreter Jesu Christi der oberste Anwalt aller Menschenrechte zu sein, sei Pius XII. nicht gerecht geworden.

Wenn die Sachlage so klar ist: Warum setzen die Ausstellungsmacher dann ein Fragezeichen hinter die Schuldfrage? Die Ausstellung solle “Raum für eine schonungslose Begegnung mit der deutschen Vergangenheit geben”, betont Georg Lunemann als Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der Träger des Museums ist. Angesichts der “gegenwärtigen Herausforderungen” wolle man einen “Anstoß für die persönliche Auseinandersetzung geben”. Das münde in der Frage: “Wie hätte ich gehandelt?”

Bei der Antwort, die sich jeder selbst geben soll, hilft es, wenn fast 80 Jahre nach dem Ende des Naziregimes die letzten Mythen über die Rolle der Kirchen aufgelöst werden. In der Nachkriegszeit sah die Bevölkerungsmehrheit die Kirchen als Opfer und Gegner des Regimes. Als in den 1960er Jahren damit begonnen wurde, deren Rolle kritisch aufzuarbeiten, war die Gegenwehr zunächst groß. Die Ausstellung in Kloster Dalheim beweist, dass die Frage nach der Schuld bis heute aktuell ist.