Solidarischer Ort oder Steinplattenwüste

„Die Menschen sind so deppert“, sagt der Grazer Professor Michael Lehofer, „sie wollen den letzten Willen des Verstorbenen erfüllen und die Toten so beerdigen, wie die es wollten“. Aber es sei doch so wichtig zu fragen, „was uns guttut“. Das sei dann meist nicht ein anonymer Ort für eine Urne, sondern ein Grab, an dem man den Verstorbenen nah spürt, ist der Psychologe überzeugt, wie er bei einer Tagung unlängst in Nürnberg sagte.

Dort befassten sich Experten mit der Friedhofskultur, wie sie sich künftige Generationen vorstellen. Unter ihnen der Zukunftsforscher Matthias Horx (Jahrgang 1955). Der Friedhof sei lange Zeit eine „mentale und soziale Begegnungsstätte“ gewesen, „der Bezugspunkt neben der Kirche, an dem sich der Ort seiner Vergangenheit versichert habe. “Dann aber erfolgte der Einmarsch der Gräberreihen, gebaut aus Steinplatten in genormten Formen„, stellt er in einem Essay über die Zukunft der Friedhöfe fest. Die Lösung liegt für ihn nicht bei Trauerplattformen im Internet oder in digitalen Avataren, sondern in Konzepten, wie sie die Initiative “Raum für Trauer” denkt.

Zu ihr gehört Kunstgießermeister Günter Czasny (Süßen). Er zitiert eine Umfrage, nach der für 67 Prozent der Befragten ein Grab auf einem Friedhof keine Bedeutung mehr hat. Die Ursache liegt seiner Ansicht nach darin, dass menschenfreundliche Trauerrituale dort oft nicht zugelassen seien. Wenn Vorschriften Menschen verbieten, Kerzen, Bilder oder Stofftiere auf Urnenfelder zu stellen, dann „entfernt sich der Friedhof von den Menschen“, sagt Czasny. Aber dort, wo solche Rituale gefördert würden, könne ein Trauerort „seine Wirkung entfalten“.

Czasny ist Mitinitiator des „Campus Vivorum“ im württembergischen Süßen. In dem von Landschaftsarchitekten entwickelten Friedhofs-Projekt sind ein „Garten der Sinne“, eine Biotop-Wasserfläche, ein Dach aus Bäumen oder ein Areal für Kinder mit einer Murmelbahn und Wippe angelegt. Große Tische, um sich dort abends auf ein Glas Wein zu treffen, mobile Sitzgelegenheiten, Schiefertafeln, von denen der Regen Trauerbotschaften wieder abwäscht, eine Feuerschale oder Rauminstallationen sollen Elemente eines „erfolgreichen Friedhofs der Zukunft“ sein.

Freilich gibt es schon andernorts Ideen, den Tod zu enttabuisieren. Der 19-jährige Einbalsamierer Luis Bauer aus Fürth hat bei Tiktok über eine Million Follower, denen er seit ein paar Jahren Fragen über das Bestattungswesen beantwortet. Wie er berichtet Bestatterin Manuela Maichle aus Geislingen an der Steige, dass ihr Institut immer versuche, das Abschiednehmen sehr persönlich zu machen. „Es gibt da keine Grenzen“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie denkt dabei an den verstorbenen Zierfisch-Enthusiasten, an dessen Beerdigung ein Aquarium neben der Urne stand. „Wir hatten auch schon Wanderschuhe und Taucherflaschen bei Trauerfeiern.“ Immer häufiger komme es vor, dass zum Beispiel die Enkel einen Sarg bemalten oder Freunde mit einem dicken Filzstift die letzten Wünsche des Gestorbenen auf den Sarg schreiben.

Auch auf manchen Friedhöfen wird man kreativer und aufgeschlossener. Auf dem Protestantischen Zentralfriedhof in Regensburg ist schon vor ein paar Jahren das „Café Vielfalt“ eröffnet worden. „Plaudertässchen“, „Café Kränzchen“ oder „Himmelb(l)au“ heißen mobile Cafés auf Friedhöfen in Augsburg, Erlangen oder München.

Die Präses der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich (Jahrgang 1996), hat junge Pfarrer nach ihren Ideen für die Friedhöfe gefragt und von einer Initiative in einer thüringischen Gemeinde erfahren, bei der Ehrenamtliche regelmäßig einen Pizzaofen auf dem Friedhof im Einsatz haben.

Sie selbst hat in ihrem oberpfälzischen Heimatdorf einen traditionellen Friedhof erlebt. Dort habe eine Hierarchie geherrscht. „An dem Schmuck der Gräber sollten die anderen sehen, wie viel der Familie die Mutter wert war“, erzählt sie bei der Fachtagung, die sich mit dem Friedhof der Generation Z und Y befasst. Sie träumt von einem „solidarischen Ort“, an dem „egal, wer du bist, jedem die gleiche Würde gegeben wird und die dort hinkommen, seelsorgerlich begleitet werden“. Die Kirche sei Expertin darin, solche Übergänge zu gestalten.

Die 30-jährige Sahra Czasny hat Stadtplanungswesen studiert und befasst sich, angesteckt von Vater Günter, auch mit Friedhöfen. In der heutigen Stadtplanung spiele der Friedhof keine Rolle, bedauert sie. Wenn neue Stadtteile entstünden, werde an Kindergärten oder Seniorenheime gedacht, aber nicht an die Integration eines Friedhofs. „Die Forschung muss aber verstehen, dass das für die nächsten Generationen ein riesiges Feld ist“, fordert sie.

Für Nürnberg sieht der Stadtplanungsreferent Daniel Ulrich das etwas anders. Im neu entstehenden Stadtteil Lichtenreuth etwa müsse kein Friedhof geplant werden. „Wir haben mehr als genug Friedhofsflächen im nahen Umfeld. Einen Neubedarf gibt es in ganz Nürnberg nicht. Die Belegungen aller Friedhöfe sind eher rückläufig“, sagt er auf epd-Anfrage.

Sarah Czasnys Vater Günter gehört der Geschäftsführung der bekannten Kunstgießer-Firma Strassacker an, die Skulpturen und Schriften auch für Grabsteine herstellt. Dort hat man sicher kein Interesse daran, dass in Zukunft Tote nur noch in Urnenfeldern und Friedwäldern bestattet werden. Aber Czasny ist auch Trauerbegleiter und sagt, „Menschen fühlen sich in ihrer Trauer oft überfordert und ratlos“. Den Friedhof neu zu denken, ist er überzeugt, diene dem Wohlergehen der Menschen, „dann ist da Fürsorge und Seelsorge spürbar“. (00/2158/16.07.2024)