“Social Media verändert das Gehirn”

Die exzessive Nutzung des Smartphones hat Auswirkungen auf Körper, Geist und das Zusammenleben. „Das Gehirn verändert sich, insbesondere im Kindes- und Jugendalter“, sagte der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Klinik am Universitätsklinikum Ulm, Manfred Spitzer, am Mittwochabend bei einem Vortrag in Ubstadt-Weiher (Kreis Karlsruhe). „Es ist nicht egal, was wir den ganzen Tag machen“, betonte er.

Spitzer erläuterte mehrere Forschungsergebnisse zu körperlichen und seelischen Folgen für Kinder und Jugendliche durch soziale Medien. „Der Aktionsradius junger Leute hat sich in den letzten drei Jahrzehnten um zehn Prozent reduziert“, führte er an. Zehn Stunden pro Tag nutzten Umfragen zufolge Jugendliche aktuell das Smartphone.

Die Zunahme von Haltungsschäden, Übergewicht und Kurzsichtigkeit sind laut medizinischer Forschung auf zu viel Handynutzung zurückzuführen. Mit all ihren Folgen: Nackenverspannungen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes sowie vermehrte Augenerkrankungen im Alter bis hin zu vorzeitiger Erblindung. Seelisch nehmen demnach Depressionen, soziale Isolation und Suizidalität zu.

„Der ständige Vergleich macht depressiv“, betonte Spitzer. Er halte soziale Medien gerade für junge Mädchen für „toxisch“. Männlichen Jugendliche hingegen seien anfälliger für Glücksspiele auf dem Handy.

Das Homeschooling während der Corona-Lockdowns habe gezeigt, dass digitaler Unterricht vor allem schwachen Schülern schade. Schweden als Vorreiter für die Digitalisierung des Schulunterrichts vollziehe derzeit eine Kehrwende und ziehe Tablets und Laptops wieder aus dem Unterricht zurück.

Tatsächlich verbannen immer mehr Länder das Handy aus dem Schulunterricht. Frankreich, die Niederlande, Italien und Großbritannien erlauben keine Handynutzung an Schulen, weil die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler nachlasse. Australiens Regierung hat jüngst einen Gesetzesvorschlag eingebracht, wonach Jugendliche soziale Medien, also Facebook, Instagram und TikTok, erst ab 16 Jahren nutzen dürfen.

Spitzer kann den Bemühungen nur zustimmen. Konzerne bestimmen unser Medienverhalten. „Wir unterliegen bei sozialen Medien dem größten Lobbyismus, den es je gab“, sagte der Experte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Gehirn brauche für seine Entwicklung die „ganze erfahrbare Realität“, nicht nur einen Bildschirm.

Je früher ein Kind digitale Medien nutze, desto schädlicher die Auswirkungen, erläuterte der Psychiater. Er forderte Eltern auf, keine „Bildschirmgeschenke“ zu Weihnachten zu machen. Zugleich appellierte er an die Vorbildfunktion Erwachsener. „Das Smartphone ist ein Superwerkzeug. Es darf aber nicht zum Instrument für Freizeitgestaltung werden“, sagte Spitzer. (2562/14.11.2024)