So schmeckt das Leben

Der Duft von Hühnerfrikassee – das ist ein Stück Heimat. Unterstützt vom Drei-Sterne-Koch Sven Elverfeld hat der Wolfsburger Tagestreff „Carpe Diem“ ein Kochbuch herausgegeben.

Die zwei Autoren Thomas Krücker und Heike Weiß mit der Projektkoordinatorin Jasmin Hinze (r.) in der Küche des Wolfsburger Tagestreff Carpe Diem
Die zwei Autoren Thomas Krücker und Heike Weiß mit der Projektkoordinatorin Jasmin Hinze (r.) in der Küche des Wolfsburger Tagestreff Carpe DiemDominique Leppin / epd

Wolfsburg. Als er mit Anfang zwanzig als Obdachloser im Wald lebte, habe er immer mal wieder Hähnchenschenkel gekocht, erzählt Thomas Krücker. Er habe das Fleisch zwar auf dem Grillplatz gebraten statt im Ofen, und auf die Marinade als Geheimzutat habe er verzichten müssen. Aber auch so habe ihm sein Lieblingsgericht geschmeckt und über die schweren Zeiten damals hinweggeholfen: „Wenn du das isst, vergisst du alle anderen Gedanken.“ Heute arbeitet der 52-Jährige als Koch im Wolfsburger diakonischen Tagestreff „Carpe Diem“. Und in einem neuen Hochglanz-Kochbuch, das Ende August erscheint, verrät er, wie er seine Hähnchenschenkel zubereitet.

In dem Buch „Wolfsburger Kochgeschichten – so schmeckt das Leben“ finden sich 24 Lieblingsrezepte von Treff-Besuchern. Alle stammen von ehemals obdachlosen oder bedürftigen Menschen wie Thomas Krücker. In acht Kapiteln mit Überschriften wie „Festtafel“, „Naschkatze“ oder „Futtern wie bei Muttern“ erzählen sie ihre Geschichte oder Erinnerungen, die mit ihrem Lieblingsessen verbunden sind. Jasmin Hinze hat das Vorhaben ins Leben gerufen. Sie leitet die Anlaufstelle für alle, die durch das gesellschaftliche Raster gefallen sind, wie sie „Carpe Diem“ beschreibt.

Wie Obachlose Stärke zeigen

Mit dem Kochbuch will Hinze den gesellschaftlichen Blick auf etwas richten, was bei aller Debatte über Armut und Wohnungslosigkeit vergessen werde: „Dass Betroffene trotz ihrer Notlage Stärken mitbringen, von denen auch andere lernen können“. In diesem Sinn sammle das Kochbuch wahre Lebensrezepte, erläutert Hinze. Das Rezept von Thomas Krücker zum Beispiel steht unter der Überschrift „Seelentröster“.

Krücker ist im mehreren Heimen aufgewachsen. Seine Mutter kam ab und zu vorbei, allerdings habe sie nur seine Schwester besucht, erzählt er. Den Kontakt zum Sohn habe sie abgelehnt. „Ich habe immer Geschenke für sie gemacht“, sagt Krücker. „Die wollte sie aber nicht haben.“ Hähnchenschenkel habe er zum ersten Mal bei einem älteren Ehepaar gegessen, das ihn in seiner Jugendzeit zweimal in der Woche bei sich aufnahm. „Danach wollte ich an beiden Tagen nur noch das essen.“ Seine Nenntante zeigte ihm, wie sie das Fleisch bereits am Tag vorher einmarinierte. Krücker durfte selbst die Joghurt-Sauce zum Salat anrühren.

Vor rund sechs Jahren stand auch Heike Weiß vor der Tür des Treffs: zwei Plastiktüten in der Hand, weinend, frisch aus Ägypten gestrandet. Die heute 58-Jährige war kurz nach ihrer Scheidung 2010 ausgewandert und hatte sich mit einem eigenen Internet-Café am Roten Meer selbstständig gemacht. „Zweieinhalb Jahre lang ging das gut“, sagt Weiß. Sie hatte sich sogar neu verliebt. Doch ihre Geschäftspartnerin, auch eine Deutsche, entpuppte sich letztlich als „falsche Freundin“. Das Geschäft scheiterte, Weiß kehrte mittellos zurück.

Tipps vom Promi-Koch

In Ägypten habe sie vor allem eines vermisst, berichtet Weiß: ihr geliebtes Hühnerfrikassee. Das Rezept steht im Kochbuch unter der Rubrik „Ein Stück Heimat“. Mittlerweile hat Weiß allerdings wieder ein Zuhause: 2015 heiratete sie ihren Freund aus Ägypten. Vor zwei Jahren durfte ihr Ehemann zu ihr nach Deutschland ziehen.

Weder Heike Weiß noch Thomas Krücker hätten je damit gerechnet, Autoren zu werden, erzählen sie – und zusammen mit einem Prominenten schon gar nicht. Aber so kam es: Eines der Vorworte zum Kochbuch hat Sven Elverfeld geschrieben, Drei-Sterne-Koch im Restaurant des Wolfsburger Hotels „Ritz-Carlton“. Zudem gibt Elverfeld Profi-Tipps zu den Rezepten.

Als Koch im Tagestreff empfiehlt Krücker jedem, der auf der Straße lebe und dem es nicht gut gehe, einmal vorbeizuschauen und ihn zu bitten, sein Lieblingsgericht zu kochen: „Ich bin wahrscheinlich der Letzte, der jemandem einen solchen Wunsch abschlägt.“ (epd)

Buch-Tipp
Das Kochbuch „Wolfsburger Kochgeschichten – so schmeckt das Leben“ kann im Buchhandel und im Tagestreff „Carpe Diem“ erworben oder per Mail unter j.hinze@diakonie-dwb.de bestellt werden.