So finden Kinder spielend zu Gott

Welche Rolle haben Spiele in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit? Der Experte Friedemann Müller spricht im Interview über die theologische Dimension und gibt Eltern Tipps.

Einen Kurs für mehr Kinderrechte wünscht sich Margot Käßmann von der Ampelregierung
Einen Kurs für mehr Kinderrechte wünscht sich Margot Käßmann von der AmpelregierungS. Hofschlaeger / Pixelio

Ist Spielen in Kirchengemeinden vor allem Mittel zum Zweck und sollen Glaubensinhalte vermitteln? Oder hat es auch eine theologische Dimension? Mit solchen Fragen beschäftigte sich Anfang Januar die Jahreshaupttagung der Evangelischen Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern. Tilman Baier sprach mit Friedemann Müller, Referent für Jugend- und Jugendsozialarbeit im Evangelischen Kinder- und Jugendwerk Mecklenburg.
Herr Müller, warum in diesem Jahr das Thema „Spiel“?
Friedemann Müller: Es gab diesen Wunsch unter den Kollegen aus der Kinder- und Jugendarbeit, die sich auf unserer Mitarbeitendentagung (MAT) ganz praktisch für ihre Arbeit anregen lassen wollten. Wir vom Vorbereitungskreis haben das aufgegriffen und beschlossen, einmal der Frage nachzugehen: Was bedeutet das spielerische Element, das sich ja als roter Faden durch die gesamte Kinder- und Jugendarbeit zieht? Welche Chancen für unsere Arbeit stecken wirklich im Spiel? So bekam die MAT 2016 das Motto nach einem alten Versteckspiel: „Eins, zwei, drei, vier, Eckstein – spielend unterwegs mit Kindern und Jugendlichen“.
Wir haben in Workshops sehr viele Spiele praktisch ausprobiert. Denn immer wieder gibt es da Neues, das sich methodisch gut aufnehmen lässt. Genauso spannend war ein Gesprächsgang zur Theologie des Spiels: Es ist ja noch gar nicht so lange her, da standen die Theologie und die kirchliche Pädagogik dem Spiel sehr skeptisch gegenüber. Es ist erfreulich, dass das Spiel seit rund 30 Jahren wieder als theologisches Motiv begriffen und aufgenommen wird – bis zu der für manche im ersten Augenblick lästerlichen Aussage: Gott selbst ist ein Spieler. Spielen ist ja weithin schöpferisches Tun. Beim Spielen entdecken wir unsere Möglichkeiten und Grenzen. Beim Spielen entdecken wir, welche Regeln gelten. Beim Spielen kann ich über mich und die Grenzen meines Alltages hinauswachsen und eine neue Welt ausloten.
Sicher ist es wichtig, sich das wieder einmal ins Bewusstsein zu holen – aber gibt es keine drängenderen Probleme?
Dieses Thema war schon in der Vorbereitung, als deutlich wurde, dass die Flüchtlingsthematik auch unseren Arbeitsbereich stark betrifft. Wir waren hin und her gerissen: Sollen wir das Thema noch einmal umswitchen, um uns dieser aktuellen, drängenden Fragestellungen anzunehmen? Doch dann sind wir beim Thema „Spiel“ geblieben. Es gilt ja generell, dass Spiel-angebote in die Situation und zu den konkreten Menschen passen müssen. Mit Spielen muss man auch kreativ umgehen. Es gab allein hier auf der MAT so vielfältige Angebote und Anregungen , dass auch für die Arbeit mit Migranten etwas dabei war, zum Beispiel für Kennenlernrunden oder Begegnungscafés.
Welches Angebot hat Sie persönlich besonders beeindruckt?
Ich habe einen Workshop besucht zum Simulationsspiel in der Bildung für Nachhaltigkeit, mit dem die Fragen unserer Zukunftsfähigkeit aufgegriffen werden können. Die Methoden waren so eindrücklich und gleichzeitig so einfach und gut zu adaptieren für andere Themen – das war mein ganz persönlicher Gewinn.
Mir leuchtet sofort ein, dass solche Spiele, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigen, sich gut in thematische Christenlehre- oder Konfirmandenstunden einbauen lassen. Aber warum und wozu sind Spiele generell in der christlichen Jugendarbeit wichtig? Sind sie Türöffner, sind sie Mittel zum Zweck, oder gehört das Spielen grundsätzlich zur christlichen Kinder- und Jugendarbeit?
In der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit wird schon immer viel gespielt, weil das Spiel uns auf eine besondere Art und Weise in eine Situation versetzt, die uns neue Möglichkeiten eröffnet.
Spiel ist in sich sehr wertvoll, weil es uns eben ermöglicht, in eine andere Rolle zu schlüpfen, weil es ermöglicht, sich mit Regeln auseinanderzusetzen, weil es ermöglicht, Grenzen auszutesten, weil es ermöglicht, Verhalten einzuüben und auszuprobieren, was man im Alltag eben nicht so einfach ausprobieren kann: zu gewinnen, zu verlieren, es miteinander auszuhalten. Und das sind ja existenzielle Dimensionen unseres Seins, mit denen wir uns im Spiel in Leichtigkeit auseinandersetzen können.
Überall, wo man hinschaut, spielen Kinder und Jugendliche. Das ist ihre ganz normale Art der Weltaneignung.
Gespielt wird auch anderswo. Gibt es denn überhaupt eine besondere christliche oder religiöse Dimension des Spiels, die woanders kaum zum Tragen kommt?
Was für uns aus christlicher Perspektive noch einmal besonders spannend ist, ist die Entdeckung der spirituellen Dimension des Lebens im Spiel: dass wir im Spiel teilhaben an einem Schöpfungsgeschehen. Und uns an unseren unterschiedlichen Möglichkeiten, auch mit unserer dunklen Seite, erleben können, ohne dass wir damit Schaden anrichten. Wir können im Spiel so richtig fies sein und müssen es dann nicht in der realen Welt.
Gibt es denn speziell christliche Spiele?
Ja, die gibt es, wir haben dazu auch Workshops gehabt. Letztlich aber ist es der Inhalt, der sie zu christlichen Spielen macht – von der Spieldynamik her könnte es auch jeder andere Inhalt sein, der transportiert wird. So sind „Die Siedler von Catan“, ein sehr populäres Brett- und Computerspiel, überarbeitet worden zu den „Siedlern von Kanaan“ – die Spielidee ist also die gleiche, nur dass ein biblischer Inhalt draufgesetzt wurde. Auch Bibliodrama und Bibliotheater sind ja Formen, die adaptiert wurden aus der Theaterpädagogik oder der Psychologie. Oder man würfelt sich durch die Lebensgeschichte Luthers und spielt Quartett mit Bibeltieren.
Welche Tipps können Sie an interessierte Eltern weitergeben?
Eltern, macht euren Kindern Lust auf Spiel und gebt ihnen dafür Zeit! Denn oft sind ja gerade die Familien, in denen sich die Eltern darum Gedanken machen, wie Kinder ihre Zeit verbringen, durchgetaktet: Hausaufgaben, Sportverein, Musikschule. Ja, wann sollen denn die Kinder da noch spielen? Und dazu zählt auch das freie, nicht angeleitete, das nicht methodische Spiel. Wenn man Kinder einfach laufen lässt, dann erfinden sie schon ihre Spiele. Dabei dürfen Erwachsene gern auch mal mitmachen, dann aber unter dem Motto: Hey, lasst uns mal überlegen, was wir erfinden können in der Situation.
Ein wichtiger Tipp ist im Blick auf Jugendliche: Eltern, bleibt neugierig, was eure heranwachsenden Kinder an medialen Spielen betreiben. Viele sind kritisch gegenüber neuen Dingen – zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht. Das war schon immer so, dass jedes neue Medium auch Kritik hervorgerufen hat. Das wurde in dem Vortrag von Professor Roland Rosenstock aus Greifswald sehr schön deutlich.

Was waren seine Hauptthesen?
Ich habe während seines Vortrags gedacht: Ja, er hat völlig recht, dass heute der soziale Raum, in dem wir unterwegs sind, für die Jugendlichen selbstverständlich erweitert ist in einen medialen Raum hinein. Und auch das Spiel, das früher am Tisch auf dem Brett, in der Gruppe oder draußen stattgefunden hat, das geschieht heute eben auch in der digitalen Welt – ebenso wertvoll. Weil das, was ein Spiel am Tisch ausmacht mit seinen Regeln und seinen Möglichkeiten, das geschieht ebenso nun dort. Und hier neugierig zu bleiben als Eltern, sich diese Spiele einmal zeigen zu lassen und nicht gleich mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen, ist sehr wertvoll.
Und: Die Jugendlichen und Kinder sind hier die Profis. Die wissen auf diesem Gebiet deutlich besser Bescheid als die Eltern. Für viele der Heranwachsenden bedeutet es eine Wertschätzung ihrer Kompetenz und eine Achtung eines ihnen wichtigen Lebensbereichs, wenn Eltern sich dafür interessieren und sich von ihren Kindern etwas dazu erklären lassen.
Das Interview führte Tilman Baier.