Welche Farbe hat der?“, fragt der blinde Freund, bei dem ich zu Besuch bin und hält mir einen Pullover entgegen. Abwesend blicke ich von meinem Buch auf und sage ohne nachzudenken: „Dreckig.“
Mein Freund und seine ebenfalls blinde Partnerin lachen sich jedesmal scheckig, wenn sie die Geschichte erzählen.
Ich musste wieder daran denken, als ich kürzlich den spannenden Krimi „Blind“ von Christine Brand las. Der blinde Titelheld Nathaniel will sich für eine Feier anziehen und weiß nicht, welche Farbe das Hemd hat, das er ausgesucht hat.
Er wählt die App „Be My Eyes“ (Sei meine Augen) an und wird mit einer sehenden Freiwilligen verbunden, der er mithilfe seiner Handykamera das fragliche Kleidungsstück zeigt. Es ist übrigens blau.
Hier unterbreche ich meine Lektüre und frage mich: Gibt es diese App wirklich oder ist sie eine geniale Erfindung der Autorin? Google sei Dank bin ich wenig später schlauer und weiß nun: Die App existiert.
Erfunden hat sie ein Däne. Man muss sich registrieren lassen und erhält eine kurze Schulung, wie das System funktioniert. Der Sehbehinderte wird automatisch mit dem nächsten freien Helfer verbunden. Das heißt, wenn ich gerade keine Zeit habe, wird trotzdem geholfen. Nächstenhilfe konkret und einfach.
Zurzeit sind 123 173 Blinde registriert, denen 2 082 966 Hilfewillige gegenüberstehen. Zu denen nun auch ich gehöre. Es kann dauern, bis ich drankomme. Aber ich warte gespannt auf meinen ersten Anruf.
Spannend geht auch der Anruf von Nathaniel weiter. Er wird Ohrenzeuge, wie die Frau, mit der er gerade telefoniert, niedergeschlagen wird. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.