„Small Talk kann und will ich nicht“

Rund jeder dritte Bundesbürger nutzt Singlebörsen im Internet. Besonders beliebt ist Nischen-Dating. Die Partnervermittlung Gleichklang.de aus Hannover unterstützt gezielt Autisten.

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Hannover. „Findest Du mich hübsch in meinem neuen Kleid?“ Würde eine Frau Michael Schultz das fragen, könnte es sein, dass er „Nein“ sagt. Nicht unfreundlich oder schroff, aber doch deutlich. „Wenn mir das Kleid nicht gefällt und die Frau auch nicht, könnte ich nichts anderes antworten“, sagt Schultz. „Lügen möchte ich nicht.“

Schultz ist Autist. Er weiß, dass es für andere Menschen nicht einfach ist, mit ihm umzugehen. Insbesondere Liebesbeziehungen fallen ihm schwer. „Ich bin schwierig“, sagt Schultz, der die Diagnose Asperger erst vor rund zwölf Jahren erhielt und ergänzt lachend: „Ich brauche halt jemanden, der auch einen Knall hat.“ Ihm sei klar, dass so eine deutliche Antwort für eine Frau verletzend ist. Könnte er seine Erwiderung dann nicht diplomatischer formulieren? „Nein, Drumherum-Gefasel mag ich gar nicht“, sagt er.

Merkmale, die sonst niemand abfragt

Der 45-Jährige aus der Nähe von Mannheim, der bei BASF als Computerexperte Hochleistungsrechner betreut, ist einer von rund 200 Autisten, die sich bei der Online-Partnerbörse Gleichklang.de aus Hannover registriert haben. Die 2006 gegründete Kennenlern-Plattform hat das Persönlichkeitsprofil „Autismus“ seit diesem Jahr im Programm. Es gesellt sich zu weiteren Merkmalen, die bei vielen Partnerbörsen nicht abgefragt werden, so etwa Hochsensibilität, Behinderungen, eine Infektion mit HIV, sexuelle Funktionsstörungen, Trans- oder Bisexualität, Interesse an platonischen Beziehungen, vegane und ökologische Lebensweise.

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Dass Menschen ihre Liebe online suchen, ist nicht neu. Seit fast 20 Jahren gibt es digitale Partnerportale wie Parship oder Elitepartner, die bis zu einer Million Menschen jeden Monat nutzen. Nach einer repräsentativen Befragung des Digitalverbandes Bitkom sind rund ein Drittel der Internetnutzer auf Dating-Plattformen aktiv. Dazu kommen seit knapp zehn Jahren Apps wie Tinder, Lovoo oder Bumble, die vor allem bei jungen Erwachsenen beliebt sind. Laut dem Hamburger Statistik-Portal „Statista“ rangieren Internet und Dating-Apps bereits auf Platz zwei der Kennenlern-Möglichkeiten – gleich nach dem Freundeskreis.

Zugleich wächst das Angebot an Nischen-Dating für spezielle Zielgruppen. Sport, Natur- und Tierliebe, Menschen über 50 Jahre, Motorrad-, Gaming- und Hundefreunde, Landwirte und Luxusfans: Der Bandbreite ist enorm – auch Religiosität spielt eine Rolle. Die App Muzz bringt Muslime zusammen, und die israelische Tageszeitung „Jerusalem Post“ meldete vor einem Jahr, den Start einer Dating-Website für jüdische Singles.

Ehrlich und ungeschönt

Dass Menschen sich so zeigen, wie sie sind, mit all ihren Vorlieben, Schwächen, Eigenarten – ehrlich und ungeschönt – ist für Guido Gebauer Voraussetzung für den Erfolg digitaler Partnervermittlung. Gebauer ist der Kopf hinter dem Portal Gleichklang.de, das rund 20.000 zahlende Mitglieder hat. Der Psychologe, der an der Universität Cambridge promoviert hat und zehn Jahre als Gerichtsgutachter tätig war, hatte die Idee einer Partnervermittlung bereits zu Studienzeiten. „Mich hat die Psychologie menschlicher Beziehungen immer fasziniert“, sagt Gebauer. Schließlich sei die romantische Liebe für viele Menschen von zentraler Bedeutung für die Lebensqualität.

Differenzierte Filtermöglichkeiten, die Persönlichkeitsmerkmale, Wertevorstellungen und Lebensweisen abfragen, ermöglichten es, den Gleichklang-Mitgliedern, passgenaue Treffer zu erzielen, sagt Gebauer. Etliche Missverständnisse und Enttäuschungen, die bei der Partnersuche entstehen könnten, würden so von vorneherein vermieden.

Der Moment der Beichte

Das hofft auch Sandra aus dem Ruhrgebiet. „Es gibt den Moment, wo die Menschen merken, dass ich anders bin und ich beichten muss, dass ich Autistin bin“, sagte die 37-Jährige. „Ich bin froh, wenn mir das erspart bleibt, weil nur Leute Kontakt aufnehmen, die das schon wissen und ok finden.“ Diese Ansicht teilt auch Christian Ottenberg. Auch er wolle den „Wow-Effekt“, wie er es nennt, in der Anbahnungsphase einer Beziehung vermeiden. Bei anderen Partneragenturen habe er schlechte Erfahrungen gemacht. „Da stößt man gleich auf Ablehnung – kein schönes Gefühl“, sagt der 35-Jährige aus der Nähe von Münster.

Noch keinen Partner gefunden

Dass für Autisten die Partnersuche schwierig ist, sagt auch Psychologe Gebauer. Die direkte Art, die wenig Interpretationsspielraum lässt, mache es für potenzielle Partner nicht leicht. Dazu kommen weitere Hürden. Sandra etwa ist aufgrund ihres Autismus erwerbsunfähig. „Das akzeptieren viele nicht“, sagt sie. Small Talk, trubelige Cafés, Nachtleben – was für die meisten Menschen, die sich zum ersten Mal treffen, dazugehört, schreckt Autisten ab. „Small Talk kann und will ich nicht“, sagte Sandra, und Ottenberg ergänzt: „Ich habe eine andere Reizschwelle, Partys, viele Menschen, Hektik – das ist nichts für mich.“

Auch wenn keiner der drei Autisten bisher einen Partner bei Gleichklang.de gefunden hat, so sind sie doch zufrieden. „Ich fühle mich bei Gleichklang.de gut aufgehoben“, sagt Ottenberg. Schultz lobt die Autisten-Funktion. „Die finde ich genial“, sagt er, und auch Sandra ist zuversichtlich. Immerhin habe sie schon ein paar Mailkontakte gehabt – für sie sei das ohnehin eine Kommunikation, die ihr entgegenkommt. „Nur Worte, ohne nonverbale Fettnäpfchen – perfekt.“ (epd)