Singen im Kinderchor: Halleluja mit Händen und Füßen

Singen im Kirchenchor? Klar – weil es Spaß macht und Selbstbewusstsein stärkt. Unsere Redakteurin hat einen Probennachmittag der Kinderchöre Iserlohn besucht. Die Freude der Kinder hat sie überzeugt.

Wenn vom Himmel gesungen wird, gehen die Hände in die Luft: Kirchenmusikerin Ute Springer probt mit den „Minis“ der Kinderkantorei.
Wenn vom Himmel gesungen wird, gehen die Hände in die Luft: Kirchenmusikerin Ute Springer probt mit den „Minis“ der Kinderkantorei.Anke von Legat

„Frau Springer, guck mal, ich hab ne halbe Zahnlücke!“ Mila liegt auf ihrem Stuhl im Gemeindesaal; die Füße hat sie unter der Lehne durchgesteckt, den Kopf auf die Hände gestützt. Weit reißt sie den Mund auf, um dann gleich weiterzufragen: „Warum kommst du nicht mehr zu uns in den Kindergarten?“ Kantorin Ute Springer, die am Flügel steht, kommt kaum dazu, zu antworten. „Jetzt gerade schaffe ich das einfach nicht“, erklärt sie. „Aber vielleicht klappt es ja bald mal wieder.“

Nach und nach treffen die Kinder zur ersten Probe des Tages ein. Bei den „St.-Marien-Käfern“ singen die Jüngsten der Iserlohner Kantorei; die meisten gehen noch in den Kindergarten. Entsprechend munter geht es zu.

Bewegungsspiele statt Stillsitzen

Statt Stillsitzen ist Bewegung angesagt: Mit einer Geschichte verknüpft die Chorleiterin den spielerischen Einsatz der Stimme. Die Kinder liegen auf dem Boden, springen durch den Raum, machen Tiergeräusche nach – besonders beliebt: das Brüllen von Bison, Bär oder Elch –; sie singen ein kurzes Lied und schreien zwischendurch auch mal, so laut sie können.

Ute Springer ist seit mehr als 21 Jahren Kirchenmusikerin in Iserlohn und hat die Kinder- und Jugendchöre der Kantorei aufgebaut. Vier Gruppen gibt es inzwischen, die alle am Mittwoch zwischen 14 und 18 Uhr proben. Dabei war das Singen mit Kindern damals nicht ihr Traum, wie sie zugibt, sondern eher eine notwendige Aufgabe, die die Gemeinde von ihr erwartete. Aber das hat sich geändert: „Mittlerweise ist Kinderchorarbeit meine große Liebe!“

Die Chorkinder liegen während einer Entspannungseinheit auf dem Boden.

Während ihres Studiums wurde kaum Wert auf die speziellen Anforderungen für das Singen mit Kindern und Jugendlichen gelegt. So eignete sie sich die notwendigen Kenntnisse in Zusatzkursen und Fortbildungen an. Unter anderem das Proben mit den ganz Kleinen, bei dem es nicht nur ums Singen, sondern um Musik mit allen Sinnen geht.

Inzwischen sitzen die „Marien-Käfer“ tatsächlich alle auf ihren Stühlen. Jetzt geht es ums genaue Zuhören. Ist der Ton, den Ute Springer auf dem Klavier anschlägt, lang oder kurz, laut oder leise? Auch die Hibbeligen sind aufmerksam. Als anschließend alle einzeln einen hohen oder tiefen Ton singen sollen, sind die meisten schon sehr treffsicher.

Während die Kleinen noch ihr Abschiedslied singen, schauen schon die ersten Kinder der nächsten Altersstufe, die „Minis“, durch die Tür. Sie haben am Wochenende zuvor bei einer Musical-Aufführung in der Iserlohner Bauernkirche mitgemacht. Dafür gibt es erstmal ein großes Lob von der Chorleiterin.

Rhythmusübungen: Hände, Brust, Schenkel

Anschließend wird – nein, nicht gesungen, sondern geklatscht: Hände, Brust, Schenkel, Stampfen, und das alles im richtigen Rhythmus. Ute Springer macht es vor, dann wird in kleineren Abschnitten geübt, einzeln und in Gruppen, mal abwechselnd, dann alle zusammen.
Diese „Bodypercussion“ wird später in das Lied „Halleluja mit Händen und Füßen“ eingebaut. Aber vorher leitet die Kantorin noch das Einsingen an: Töne werden mit den Händen von ganz oben aus der Luft gepflückt, in der Mitte gehalten und dann nach unten fallengelassen. Bei der folgenden Aufgabe stellt sich heraus, dass die hohen Töne leichter zu treffen sind als die tiefen – aber das ist alles eine Frage der Übung. „Haltet euch mal ein Ohr zu, dann hört ihr euch selbst besser“, rät die Chorleiterin. Nach einigen Versuchen klappt es schon besser.

Niemand muss „richtig“ singen können

Übrigens ist das „saubere“ Treffen der Töne keine Voraussetzung für das Mitsingen in den Kinderchören. „Bei mir können alle mitmachen, egal, ob sie richtig singen oder nicht“, sagt Ute Springer. Denn es geht ihr nicht in erster Linie darum, mit den Kindern einen perfekten Auftritt abzuliefern, sondern um die Prägung. Kinder, die über Jahre hinweg in der Kantorei mitmachen, verbessern natürlich ihren Gesang – nehmen aber darüber hinaus noch viel mehr mit: Sie werden mit alten und neuen Kirchenliedern und dem Kirchraum vertraut, singen regelmäßig im Gottesdienst und kommen so auf verschiedene Weise mit der christlichen Botschaft in Berührung.

Zum anderen sieht Springer die Chöre auch als Gemeinschaft, in der Kinder wachsen und ihr Selbstbewusstsein stärken können – allein vor einer Gruppe zu singen, ist da eine gute Übung, auch wenn nicht jeder Ton sitzt.

Und schließlich ist es auch mit noch so viel Engagement nicht leicht, Nachwuchs für die Kinderkantorei zu finden, obwohl die Kirchenmusikerin regelmäßig in Kindergärten und Grundschulen präsent ist und immer mal wieder Schnupperwochenenden anbietet. „Kinder und Jugendliche sind es nicht mehr gewohnt, sich über lange Zeit für eine Sache festzulegen – das gilt für alle Hobbys, aber besonders für das Singen, noch dazu in der Kirche“, hat sie beobachtet. Das Gleiche sehe sie bei den Eltern, die das regelmäßige Erscheinen bei den Proben sowie bei Chorwochenenden und Aufführungen ja unterstützen müssten. Besonders dankbar und stolz ist sie daher, dass ihre Chöre die Durststrecke während der Corona-Einschränkungen recht gut überstanden haben.

Bewegungsübungen treffen beim Kinderchor Iserlohn auf Gesangsübungen.

Das wird bei der nächsten Gruppe, den „Maxis“, besonders deutlich. 16 Jungen und Mädchen zwischen zehn und 13 Jahren versammeln sich im Probenraum. Schon beim Einsingen zeigt sich, dass die Älteren ihre Stimmen bereits deutlich gezielter einsetzen können als die Kleineren, und damit werden auch die Übungen anspruchsvoller. „Nicht so brav!“, fordert Ute Springer nach den ersten Tönen. „Singt die Noten bewusst an und denkt sie vorwärts.“ Weit ausholende Bewegungen sollen diese Vorstellung verdeutlichen. Dreiklänge und Tonleitern folgen.

Auch diese Gruppe bekommt noch ein dickes Lob. „Das Musical letzte Woche war wahnsinnig schön!“, sagt die Kantorin. Davon gibt es noch eine Kostprobe: „Gott schützt die, die ihn lieben“, singen die Jugendlichen, gemeinsam und als Solisten. Auch hier wird geklatscht, und mitten in dem Arrangement steht die Choralstrophe „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen“. Die poppigen Rhythmen und die alte Choralmelodie – beides klingt richtig gut.