Sexuell und emotional unreif?
Ist der Zölibat eine Ursache für den massenhaften Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester? Vielleicht – aber sicher nicht die einzige
Der Zölibat ist einer von mehreren Faktoren, die im Verdacht stehen, den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester zumindest zu begünstigen. Weitere Ursachen sehen Kirchenvertreter und Fachleute in den Machtstrukturen der ausschließlich männlich dominierten Hierarchie und der starken Tabuisierung der Sexualität in der katholischen Kirche.
Daher rücken Forderungen nach strukturellen Veränderungen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch in den Vordergrund. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, fordert, die Machtverhältnisse innerhalb der katholischen Kirche so zu verändern, dass Missbrauch nicht mehr möglich sei. Sternberg sprach sich im Deutschlandfunk zudem für eine stärkere Beteiligung von Frauen an den Ämtern und Aufgaben der katholischen Kirche aus.
Derweil beklagte der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ), „Männerbünde“ in der katholischen Kirche verhinderten die Aufklärung von Kindesmissbrauch. Die BDKJ-Vorsitzende Lisi Maier sagte der Tageszeitung „Die Welt“: „Das sind etwa Karrierenetzwerke, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig unterstützen. Diese Netzwerke verhindern Aufklärung, also muss man sie aufbrechen.“ Zudem forderte sie Reformen bei der Priester-Ausbildung. „Derzeit wird Sexualität tabuisiert und totgeschwiegen“, kritisierte sie.
Eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz, aus der Medien vorab zitierten, weist zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3677 sexuelle Vergehen durch 1670 Kleriker an überwiegend männlichen Minderjährigen aus. Die Bischofskonferenz will die Studie am 25. September in Fulda vorstellen.
Zwei australische Wissenschaftler hatten in einer 2017 in Melbourne erschienenen Studie den Zölibat als eine gewichtige Ursache für sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester benannt. „Kinder (…) in Bildungs- und Wohlfahrtseinrichtungen sind einem Risiko ausgesetzt, wenn psychosexuell unreife und/oder sexuell benachteiligte zölibatär Lebende, einschließlich Priester und Ordensleute, zu ihnen Zugang haben“, heißt es in dem Bericht der beiden Autoren Peter Wilkinson und Desmond Cahil.
Der katholische Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller sieht dagegen keine direkte Verbindung zwischen Zölibat und sexuellem Missbrauch Minderjähriger. Viele Priester seien jedoch dem zölibatären Lebensstil nicht gewachsen und rieben sich daran auf.
Müller, der das Therapiezentrum Recollectio für Priester in der Benediktinerabeit Münsterschwarzach leitet, hatte in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass das Thema Sexualität bei der Ausbildung von Priestern zu kurz käme. Nach seiner Ansicht besteht ein Risikofaktor darin, dass auffallend viele Priester emotional und sexuell unreif seien und sich ihrem Leidensdruck nicht konsequent stellten. Insbesondere treffe dies auf homosexuelle Priester zu, deren Sexualität in besonderem Maß tabuisiert werde. leg/epd/KNA