„Sexualisierte Gewalt ist immer auch Leitungsversagen“

Die am Donnerstag veröffentlichte „ForuM-Studie“ hat gezeigt, dass es deutschlandweit in der evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in größerem Ausmaß gegeben hat als bislang angenommen. Das Forscherteam berichtete von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern. Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), was in seiner Kirche jetzt passieren muss.

epd: Herr Bischof, was haben die Studienergebnisse bei Ihnen ausgelöst?

Gohl: Wir haben die Pressekonferenz gemeinsam mit vier Betroffenen angeschaut und kannten die Ergebnisse vorher nicht. Wir waren uns danach einig, dass die Erkenntnisse darüber, was Menschen in der Kirche erlebt haben, schnell Konsequenzen brauchen. Sexualisierte Gewalt ist immer auch Leitungsversagen. Wir haben inzwischen bereits ein gut funktionierendes Präventionskonzept, auch weil wir gesehen haben, dass Leitung bei diesem Thema nicht immer wahrgenommen wurde.

epd: Werden Sie jetzt die Personalakten durchsuchen lassen, um bisher unbekannte Fälle aufzuspüren?

Gohl: Das hatten wir ohnehin vertiefend vor – als Konsequenz aus einer früheren Studie, die wir in Auftrag gegeben hatten, die AUF-Studie. Wir wollten wissen: Wie agieren Täter bei Verdachtsfällen, wie reagieren Verantwortliche? Die AUF-Studie hat uns deutlich gemacht, dass wir dazu die Personalakten noch genauer anschauen müssen. Es gibt allerdings auch gesetzliche Regelungen, wie lange etwas in den Akten sein darf. Das ist alles nicht so einfach. Doch werden wir auf jeden Fall wie geplant die Personalakten genauer untersuchen.

epd: Was sind die nächsten Schritte in Württemberg, um aus der Studie Konsequenzen zu ziehen?

Gohl: Dazu müssen wir die knapp 900 Seiten erstmal lesen, wenn wir die Arbeit des Forschungsteam ernstnehmen wollen. Klar ist aber: Wir brauchen einheitliche Anerkennungsleistungen innerhalb der EKD. Da sind wir in Württemberg bereits in Vorleistung gegangen, weil wir nicht warten wollten. Es wurden bisher bereits bar 15.000 Euro pro plausiblem Fall ausbezahlt. Angeboten wird zudem eine monatliche Überbrückung von 400 Euro, in Summe maximal 5.000 Euro. Und es stehen weitere 10.000 Euro jedem zu für zusätzliche Leistungen, etwa für Therapien oder Notlagen. Eine weitere Konsequenz: Wir brauchen EKD-weite Standards für Schutzkonzepte. Auch über das evangelische Pfarrhaus und seine speziellen Ausprägungen, wie sie in der Studie kritisch angesprochen wurde, müssen wir uns neu Gedanken machen. (0170/25.01.2024)