Jüdische Gebetsriemen als Sex-Utensil oder ein historischer Antimasturbationsring: Eine Schau im Jüdischen Museum Berlin beleuchtet Sex in seinen verschiedenen Spielarten aus dem Blickwinkel der jüdischen Kultur.
Das alte Spielbrett in seinen unmodernen Farben erinnert ein bisschen an ein altes Monopoly. Allerdings geht es hier nicht um Geld, sondern um Sex. “Dr. Ruth’s game of good sex” ist ein Spiel, das nach der bekannten amerikanischen Sexualtherapeutin Ruth Westheimer benannt ist, die als Kind aus Deutschland flüchten musste und heute hochbetagt in den USA lebt.
Spielanweisungen auf Englisch sollen dem spielenden Paar in seiner sexuellen Beziehung weiterhelfen. Sittsam ist die Aufforderung zum Händchen halten (“Hold hands”). Und ganz explizit: “Caress her vaginal area” (Streichele ihren Vagina-Bereich). Ziel ist der gegenseitige Lustgewinn.
Das Spiel ist Teil der Ausstellung “Sex – Jüdische Positionen”, die ab Freitag im Jüdischen Museum Berlin (JMB) gezeigt wird. Auf 800 Quadratmetern werden rund 140 Exponate aus 2.000 Jahren präsentiert. Sie zeigen Sex und seine Spielarten aus dem Blickwinkel der jüdischen Kultur. Konzipiert ist die Ausstellung in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Amsterdam.
Die Idee zur Ausstellung habe es schon lange vor dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel gegeben, sagte Museumsdirektorin Hetty Berg; dennoch sei es “gerade jetzt” wichtig, diesen lebensfrohen Aspekt des Judentums zu feiern und nicht alles “durch den schrecklichen Konflikt im Nahen Osten” bestimmen zu lassen.
“Sex ist ein Thema, das alle Menschen umtreibt”, so Berg weiter. Kein Sex vor der Ehe, Homosexualität oder Pornografie: Die Ausstellung zeige, dass die religiösen Gesetze bereits in der Historie den jeweiligen gesellschaftlichen Realitäten angepasst wurden.
Gezeigt werden Exponate aus der Sammlung des JMB und Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa, Israel und Nordamerika. Zu sehen sind rabbinische Schriften, Skulpturen, Filme, Fotografien, TikTok-Videos, Ritualgegenstände und Gedichte.
Selten spricht das Judentum mit einer Stimme – “auch beim Thema Sexualität gehen die Meinungen auseinander”, so Berg: Entsprechend kommen in der Ausstellung talmudische Gelehrte, zeitgenössische Künstler, mittelalterliche Philosophen oder moderne Sexualtherapeuten zu Wort, die unterschiedliche Auffassungen von Sexualität vertreten.
Den Auftakt als “Prolog” macht eine Installation der Künstlerin Gil Yefman im Glashof des Museums, eine Auftragsarbeit zur Ausstellung, die “Lust auf mehr” machen soll, wie Kuratorin Miriam Goldmann erläutert. Bunte Häkelbrüste neben männlichen Genitalien aus Stoff: “Tumtum” nennt sich der weiche ballartige Koloss. Das ist hebräisch und bedeutet “unwissendes, naives Wesen”, so Goldmann. Im Talmud werde es als Synonym für die Unwissenheit über das eigene Geschlecht benutzt.
Insgesamt gibt es vier weitere Ausstellungskapitel, die sich mit “Pflicht und Vergnügen”, “Kontrolle und Begehren”, “Sexualität und Macht” und “Erotik und das Göttliche” auseinandersetzen.
Zahlreiche Gemälde und Fotografien verdeutlichen etwa die orthodoxen Gesetze zum Thema Sexualität; darunter das Masturbationsverbot, dem die Orthodoxie etwa mit einer frühen Eheschließung begegnet, wie die Kuratorin erläutert. Ein historischer Daumenring, datiert auf 1700 bis 1850, mit hebräischen Schriftzeichen sollte in früherer Zeit die Selbstbefriedigung verhindern – eine Leihgabe aus Amsterdam.
Dass Frauen im orthodoxen Judentum als permanente sexuelle Versuchung für den Mann betrachtet werden – wie es in einem der Ausstellungstexte erklärt wird -, verdeutlichen ausgestellte Straßenschilder von orthodoxen israelischen Gemeinden. Sie rufen Frauen zu zurückhaltender Kleidung auf.
Auch Gewalt und Sexualität sind Thema in der Ausstellung – allerdings eher angedeutet, wie Kuratorin Goldmann erklärt. Man habe sich hier bemüht, einen Kompromiss zu finden. Teil der Ausstellung ist etwa ein Exponat der “Stalags”-Taschenbücher, die in den 1960er Jahren Aufsehen in den Buchhandlungen Israels erregten. Die pornografischen Hefte erzählen von Kriegsgefangenen, die von SS-Aufseherinnen sadistisch gefoltert und missbraucht werden.
Ein Film von Ari Libsker über dieses kuriose popkulturelle Phänomen, “welches half, das Schweigen zu brechen – über Sex und über die Shoah”, wird im Rahmen des begleitenden Ausstellungsprogramms gezeigt.