Serie “A Good Girl’s Guide to Murder” wandert von Netflix zum ZDF

Die international erfolgreiche Netflix-Serie “A Good Girl’s Guide to Murder” um eine Kleinstadt-Schülerin auf Mörderjagd läuft jetzt bei ZDFneo. Solche Kooperationen sind auf dem Vormarsch. Aus Kostengründen. Und fürs Renommee.

Märchen mögen bezaubernder Mumpitz sein. Geheimnisvolle Wesen voll magischer Kräfte in mystischer Umgebung haben mit der Realität schließlich weniger zu tun als Inga Lindströms Schweden mit Skandinaviens Gegenwart. Trotzdem steckt in Märchen bekanntlich ein wahrer Kern. Die Moral von der Geschicht’ eben. Mal versteckte, meist aber offenkundige Botschaften übers Gute, Schöne, Erreichbare. Bei “A Good Girls Guide to Murder” etwa der Glauben an sich selbst.

Damit schafft es die 17-jährige Pippa, genannt Pip, aus dem Abseits ihrer englischen Einöde ins Zentrum einer buchstäblich fantastischen Netflix-Serie. Fünf Jahre nach dem seltsamen Mord an der Schulschönheit Andie beginnt sie die Schuld des geständigen Täters Sal anzuzweifeln und rollt den Fall im Alleingang auf. Typisch für die nerdige Tochter einer multikulturellen Patchwork-Familie, der Emma Meyers wie zuvor bereits ihrem Werwolf Enid im Horror-Spaß “Wednesday” leicht biedere Exzentrik verleiht.

Eher untypisch sind dagegen die Ermittlungserfolge. Gleich das erste Verhör fördert mehr Wissenswertes zutage als professionelle Polizeiarbeit über Wochen im Tatjahr 2019. Mehr noch: Einerlei, wen Pip fragt – alle geben dem Sonderling so bereitwillig Auskunft, dass sich ihre Kinderzimmerwand wie im Erwachsenenkrimi rasch mit Beweisstücken füllt und dabei allerlei Geheimnisse dieser merkwürdigen Gemeinde preisgibt. Was jedoch nicht halb so surreal ist wie nahezu alles andere.

Pip hat nämlich nicht nur den coolsten Freundeskreis eines Provinzstädtchens, das diverser ist als jedes Londoner Szeneviertel. Das hässliche Entlein gewinnt zudem Sals süßen Bruder Ravi (Zain Iqbal) als Assistenten, mit dem auch emotional was laufen könnte. Märchen halt. Und damit das perfekte Futter der avisierten Zielgruppe “Young Adults”, die spätestens seit “Beverly Hills 90201” heftig umworben wird und bei Amazon Prime gerade weltweit erfolgreich ins englische Fantasie-College “Maxton Hall” gezogen ist.

Auch “A Good Girls Guide to Murder” lässt den Cast um die weibliche Hauptfigur in austauschbarer Rahmenhandlung körperlich und mental reifen. Erste Party, erster Rausch, das Erwachen romantischer Gefühle, Enttäuschungen inklusive – alles dabei, alles zugkräftig, alles sehr souverän, was Dolly Wells und Tom Vaughn aus Poppy Cogans Büchern gemacht haben. Fragt sich nur, warum Netflix die erfolgreiche, gemeinsam mit der BBC produzierte Verfilmung von Holly Jacksons Weltbestseller hierzulande an ZDF Neo abgetreten hat.

Naturgemäß gibt der verschwiegene Streamingdienst Details seiner Programmstrategie mindestens so ungern preis wie belastbare Abrufzahlen. Aber die Kooperation hat durchaus Methode. Denn auf einem Markt, der seit Beginn des Zeitalters horizontaler Serien vor 25 Jahren immerzu gewachsen ist, werden die Anteile kleiner. Alle amerikanischen Unterhaltungskonzerne betreiben mittlerweile Streamingdienste, die im sprachlich begrenzten DACH-Raum Deutschland, Österreich, Schweiz mit einem Netz öffentlich-rechtlicher Mediatheken und privatwirtschaftlicher Videoportale wie RTL+ oder Joyn konkurrieren.

Das führt zur kooperativen Marktbereinigung. Während Paramount, Magenta und Sky die Produktion deutschsprachiger Fiktion weitestgehend beendet haben, wechselt sie fröhlich die Abspielstation oder entsteht – wie bei Kino und Fernsehen seit Jahrzehnten verbreitet – als Teamwork. Den Anfang machte 2016 “Babylon Berlin”. Weil ersteren die Zugriffe fehlen und letzteren das Geld, hatte der Bezahlsender Sky das Zwischenkriegsepos vier Staffeln lang mit ARD Degeto realisiert.

Es war der Startschuss diverser Zweckgemeinschaften auf Zeit. Während das ZDF im Jahr drauf Wolfgang Petersens “Boot” an der Seite von Sky zum Serienevent aufmotzte, lief der sechsteilige Neo-Thriller “Parfum” international bei Netflix, das wiederum die ORF-Groteske “Totenfrau” nach kurzer Online-Auswertung ans Erste weitergegeben hat, wo später auch die Paramount-Reihe “Chemie des Todes” landete. Und dann hat ProSiebenSat1 kürzlich eine Partnerschaft mit Sky zur wechselseitigen Nutzung ihrer Produkte vereinbart. Es ist ein fleißiges Geben und Nehmen im Dienst maximaler Reichweiten. Fürs passgenaue Portfolio, sagt ZDF-Programmchefin Nadine Bilke, “betrachten wir alle relevanten Player, kooperieren mit Streaminganbietern und kaufen ausgewählte Programme als Lizenz”.

Mit Amazon Prime, lange als Nagel im öffentlich-rechtlichen Sarg verteufelt, dreht das ZDF den sechsteiligen Thriller “The Assassin”. Parallel zur ersten deutschen Eigenproduktion “Where’s Wanda” führen Apple und ZDF die Sky-Serie “Krank” um eine Berliner Brennpunktklinik weiter. Und vielleicht findet Paramount sieben Monate, nachdem sie bei der Berlinale gefeiert wurden, auch für die Podcast-Verfilmung “Zeit: Verbrechen” ein beitragsfinanziertes Asyl.

Von einer Resterampe wie im Fall der mäßig originellen Lobbyismus-Satire “Wo wir sind, ist oben”, die Sky zuletzt ans Erste verscherbeln konnte, kann beim jüngsten Deal dagegen allerdings keine Rede sein. Dafür sind Thema, Personal und Optik von “A Good Girl’s Guide to Murder” zu zugkräftig. Weil die Serie international bei Netflix läuft, dürfte der Schritt eher mit dem Verjüngungsbedarf deutscher Regelprogramme zu tun haben: Ab Sonntag hofft man in Mainz, in sechsmal 40 Minuten Jugendliche noch mal fürs lineare Fernsehen zu gewinnen. Das aber ist fast so unrealistisch wie die märchenhafte Handlung. “A Good Girl’s Guide to Murder” dürfte daher vor allem in der Mediathek geschaut werden.