Sensibles Drama um das Weiterleben nach dem Suizid des Partners

Wie kann das Leben weitergehen, wenn der Partner Suizid begangen hat? Davon handelt das außergewöhnliche und sensible Drama „Laufen“ – schauspielerisch beeindruckend, hervorragend umgesetzt und mit Seltenheitswert.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Vor seinen Gefühlen kann man letztendlich nicht davonlaufen. Aber viele Menschen, die Sport machen, wissen, dass die körperliche Bewegung der Psyche durchaus auf die Sprünge helfen und dabei unterstützen kann, neue Perspektiven zu finden und Tiefs zu überwinden. Darum geht es in dem Film „Laufen“, den der renommierte Regisseur Rainer Kaufmann 2023 nach einem Drehbuch von Silke Zertz inszeniert hat.

Die Cellistin Juliane (Anna Schudt) versinkt nach dem Selbstmord ihres depressiven Lebensgefährten in Trauer. Ihre beste Freundin und eine Therapeutin stehen ihr bei, doch lastet der Tod ihres Partners so bleischwer auf Juliane, dass sie ihr lange kaum helfen können.

Doch dann rafft sich die Musikerin ein Jahr nach dem Selbstmord auf und beginnt, regelmäßig zu laufen. Zunächst ist das hart. Neben der Seele schmerzen nun auch die Knie, und die Erinnerungen an den Toten, der Kummer, aber auch die Wut über seinen Selbstmord laufen immer mit und lassen sich nicht abschütteln. Und doch löst sich eine Erstarrung; die körperliche Anstrengung bewirkt, dass Juliane sich ihrem Schmerz stellen kann.

Das sensible Drama nach einem Roman von Isabel Bogdan bricht den inneren Monolog seiner Vorlage auf und übersetzt ihn in eine vielschichtig zwischen Zeitebenen springende Struktur. Die aufmerksame Kameraarbeit, eine sorgfältige Inszenierung und eine brillante Hauptdarstellerin (Anna Schudt) spannen die Studie von Schock, Überforderung und Neubeginn mit außergewöhnlicher Intensität auf.

Schritt für Schritt kämpft sich die feinfühlige Orchester-Cellistin Juliane „Jule“ Hansen (stark: Anna Schudt) nach dem Suizid ihres Partners Johann König (Maximilian Brückner) aus dem Krisenmodus heraus. Auch wenn es zum Ende hin sogar wieder Laufschritte sind – der Weg von der Trauer hin zu neuem Lebensmut ist lang. In der Filmwelt braucht Jule dafür zwei Jahre, im Fernsehfilm „Laufen“ sind es 90 dichte und oft auch bewegende Minuten.

Gerade war das Hamburger Paar in der Anfangsszene noch im grünen Buckel-Volvo unterwegs an der Elbe, und Johann hat für seine Liebste den Gorden-Lightfood-Klassiker „If You Could Read My Mind“ gesungen. Da muss Jule sehr schnell feststellen, dass sie seine depressiven Gedanken eben nicht lesen kann. Johann vergiftet sich in seiner kleinen Autowerkstatt mit den Abgasen des Oldtimers.

Als Jule nichtsahnend vom Cello-Unterricht nach Hause kommt, erwarten sie bereits Polizisten, die ihr plump die schockierende Nachricht überbringen. Daraufhin bricht sie weinend zusammen. Bis ihre beste Freundin Rike Brandft (Katharina Wackernagel) auftaucht; sie wird langfristig mit Mann und Kindern Jules wertvollster Anker im veränderten Dasein werden.

In dem gut gemachten Film von 2023 nach dem gleichnamigen Roman von Isabel Bogdan bekommt man die Achterbahnfahrt des Seelenzustandes der Protagonistin hautnah mit. „Wir haben uns immer wieder hinterfragt, ob sich die Emotionalität durch die verschiedenen Zeitebenen vermittelt. Nach den ersten Vorführungen auf Festivals haben wir ein positives Feedback erhalten“, sagte die Hamburger Filmproduzentin Heike Wiehle-Timm zur TV-Premiere im April über eines ihrer bislang ungewöhnlichsten Projekte.

Sie lobte die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Drehbuchautorin Silke Zertz, ZDF-Redakteurin Solveig Cornelisen und Regisseur Rainer Kaufmann bei dem Projekt. Wichtig sei allen gewesen, dass die Zick-Zack-Dramaturgie eine positive Kurve nach oben aufzeigt.

Aufwendig waren die Volkslauf-Szenen unter dem Fernsehturm – vor allem wegen der Komparsen. Denn zur Drehzeit im Corona-Herbst 2021 waren alle öffentlichen Läufe in Hamburg offiziell abgesagt worden oder nur eingeschränkt möglich. Über Betriebslaufgruppen, private Laufgruppen, Sportvereine, Trommelgruppen und über Werbung im eigenen Bekanntenkreis ist es der Produktion trotzdem gelungen, eine beachtliche Anzahl von Freiwilligen zu finden, die bereit waren, den sogenannten Herbst-Lauf zu gestalten und drehen zu lassen.

Für solche Achtungsfilme braucht es gute Macher, positive Unterstützer und nicht zuletzt öffentlich-rechtliches Fernsehen als Klammer für beides. Obwohl alle Beteiligten zunächst Zweifel angesichts dieser Herausforderung hatten, wurde die Romanvorlage als Film der Ermutigung umgesetzt.

Eine Besonderheit kommt am Schluss: Mit der Verabschiedung von Jule und ihrer Therapeutin Karina Mohl (Victoria Trauttmansdorff) endet fünf Minuten vor dem Filmschluss der filmische Dialog. Die Musik hat das letzte Wort. Der Komponist Richard Ruzicka hat für das Ende ein eigenes Stück geschrieben, „ein großes Geschenk“, wie Produzentin Wiehle-Timm erklärt.

Die Aufführung, bei der Jule am Ende mitwirkt, binde alle Enden zusammen und schlage den Bogen über den Lauf, die Szenen des Abschieds bis hin in eine neue Zeit. „Die Lebenskurve geht nach oben. Musik und Lauf sind Befreiung und Selbstermächtigung. Es bedarf keiner Worte. Die Bilder sind in Kombination mit der Musik selbsterklärend. Das kann Film!“