Seilspringen gegen Stress

Oft fängt es einfach mit einem Ball und etwas Musik an. „Wir wollen geflüchteten Kindern in Flüchtlingseinrichtungen helfen, einfach Kind zu sein“, sagt Till Schuster, Koordinator des Projekts „TeamUp“ der Kinderhilfsorganisation War Child. Das 2022 in Deutschland gestartete Projekt setzt auf Spiele, Bewegung und Routinen. „Kinder können so ihre belastenden Erfahrungen in einem sicheren Rahmen wahrnehmen und loslassen“, erklärt der 39-jährige Sport-Sozialarbeiter. Heute wird „TeamUp“ mit dem HanseMerkur Preis für Kinderschutz ausgezeichnet. Die 5.000 Euro Preisgeld werden für den Ausbau des Programms genutzt.

In Hamburg bieten aktuell rund zwölf ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren ein- bis zweimal wöchentlich „TeamUp“-Sessions in vier Flüchtlingsunterkünften an. Sie erreichen damit über 240 Kinder, Ende des Jahres soll eine fünfte Unterkunft hinzukommen. „Wir wollen nicht einfach hierherkommen, Spielzeug auspacken und zuschauen, wie sich die Kinder selbst beschäftigen“, betont Schuster.

In einem Game Book finden sich rund 150 Spiel- und Bewegungsanleitungen, die nach acht psychosozialen Themen sortiert sind. Je nach Situation vor Ort würden entsprechende Spiele vorbereitet. „Seilspringen hilft gegen Stress, Grimassen schneiden beim Partner-Spiel fördert Freundschaften“, erklärt Schuster, der „TeamUp“-Mentorinnen und Mentoren ausbildet. In anderen Bewegungsspielen geht es um Wut, Angst, Vorurteile oder Mobbing. „Kinder haben Gefühle und wir müssen lernen, damit umzugehen“, sagt Schuster.

Die Spiele sollen Kindern dabei helfen, ihren Emotionen Raum zu geben und sie abzuschütteln. Gleichzeitig gebe es strikte Regeln wie „nicht schlagen“, „zuhören“, „gegenseitig helfen“ oder „niemanden beleidigen“. Schuster: „Ohne dass die Kinder es merken, bauen sie spielerisch Vorurteile ab und üben soziales Verhalten.“

Das „TeamUp“-Programm wurde 2015 in den Niederlanden von Kinderschützern der Organisationen War Child, Unicef und Safe the Children entwickelt und wissenschaftlich begleitet. Neben Hamburg gibt es „TeamUp“ auch in Berlin.

„War Child nutzt das Programm weltweit in über 26 Ländern“, erklärt Jan Grönewald, Manager Partnerschaften der Organisation. „Es soll Kinder dabei unterstützen, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und neue Freundschaften zu schließen“, erklärt Grönewald und betont gleichzeitig: „Eine Psychotherapie ist das natürlich nicht.“

Das Angebot ist bewusst offen gestaltet, Anmeldungen gibt es nicht, die Teilnehmerzahl ist unbegrenzt. Die meisten sind zwischen vier und 13 Jahren alt. Sie können mitmachen oder einfach zusehen. „Dieser Freiraum muss sein, damit Kinder die Erfahrung von Selbstbestimmtheit machen können“, sagt Schuster, dem es um Spaß, aber auch Struktur geht. Manche Sessions starten mit vier, fünf Kindern und enden mit 30. Das Programm funktioniert weitestgehend ohne Sprache, falls Neuankömmlinge noch kein Deutsch sprechen können. Begleitet wird die etwa einstündige Session von mindestens zwei oder drei ehrenamtlichen Mentorinnen oder Mentoren.

„Der Bedarf ist riesig“, weiß Koordinator Grönewald. Kinder und Jugendliche machen laut Unicef etwa 40 Prozent der Asyl- und Schutzsuchenden in Deutschland aus. Viele geflüchtete Kinder und Jugendliche hätten den Verlust ihrer Häuser oder sogar ihrer Liebsten miterlebt und nehmen ihre verstörenden Erfahrungen in Form von Angst und Unsicherheit nach Deutschland mit. Dazu käme sozialer Stress und der teilweise triste Alltag in den Unterkünften.

Um ihnen zu helfen, soll das „TeamUp“-Programm weiter wachsen. Neben neuen Ehrenamtlichen sollen künftig auch interessierte Lehrerinnen und Lehrer an einem Wochenende ausgebildet werden. Neben dem Spielkonzept würden auch Kinderschutz sowie kulturelle Unterschiede thematisiert. „TeamUp“-Koordinator Schuster: „Der Einsatz in Unterkünften kann schon stressig sein, aber wenn Kinder lachen und glücklich sind, ist es einfach toll.“