Seifenoper bei den Passionsspielen

Paukenschlag in Oberammergau: Seit 1990 ist Christian Stückl Spielleiter der weltberühmten Passionsspiele. Nun hat der Gemeinderat beschlossen, dass Stückl nicht mehr automatisch gesetzt ist – und ruft Interessenten auf, sich für den Posten zu bewerben. „Das kommt bei mir als totaler Affront an“, sagte Stückl am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage. Er habe bereits vor einem Jahr dem Gemeinderat gesagt, dass er 2030 noch einmal Spielleiter sein möchte. Sich extra bewerben werde er sich auf den Aufruf des Gemeinderats hin daher nicht. „Die wissen, was sie an mir haben oder nicht – und dürfen sich gern bei mir melden“, sagte Stückl.

Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) kann Stückls Ärger nachvollziehen. Aber bei dem Gemeinderatsbeschluss gehe es um kein „Commitment“ gegen die Person Stückl, betonte er. Vielmehr seien dem Gemeinderat mehrere Personen bekannt, die Interesse daran hätten, 2030 Spielleiter der Passionsspiele zu werden. Die Stelle des Spielleiters solle daher nicht mehr – wie bisher – hinter verschlossenen Türen vergeben werden, sondern in einem transparenten Verfahren. Spielleiter sei bislang nur jemand geworden, der gute „connections“ in den Gemeinderat gehabt habe. Eine solche intransparente Stellenvergabe passe aber nicht mehr in die heutige Zeit, gab Rödl zu bedenken.

Die weltberühmten, alle zehn Jahre stattfindenden Oberammergauer Passionsspiele sind ein riesiger Wirtschaftsfaktor und ein Millionengeschäft für den kleinen Ort mit rund 5.500 Einwohnern. Mehr als 400.000 Menschen aus aller Welt haben vor zwei Jahren zwischen Mai und Oktober die mehr als 100 Vorstellungen über die letzten Tage im Leben Jesu besucht. Auch wenn Darsteller und Spielleiter traditionell aus Oberammergau stammen müssen – Spielleiter Christian Stückl ist nicht irgendwer. Er ist Intendant des renommierten Münchner Volkstheaters sowie ein bundesweit anerkannter und vielfach ausgezeichneter Theatermann.

1987 wurde der heute 62-jährige Stückl zum damals jüngsten Spielleiter der Passionsspiele ernannt, modernisierte sie und erarbeitete sich schnell den Ruf, ein Sturkopf zu sein. Er setzte sich mit dem Vorwurf des christlichen Antijudaismus auseinander und befreite die Passionsspiele nach und nach von judenfeindlichen Passagen. Dafür wurde Stückl vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Buber-Rosenzweig-Medaille, dem Abraham-Geiger-Preis, dem Isaiah Award des American Jewish Committee und dem Bundesverdienstkreuz. Seit 1990 dürfen auf sein Drängen hin auch verheiratete Frauen und Frauen über 35 auf der Bühne stehen. Auch für evangelische und muslimische Darsteller öffnete Stückl die Passionsspiele immer weiter. Nicht allen gefiel ein solches Revoluzzertum.

„Ich weiß, dass ich oft angeeckt bin, weil ich Sachen durchbringen wollte und mich gern einmische“, sagte Stückl dem epd. Früher etwa habe der Gemeinderat über die Besetzung der Hauptrollen entschieden. Dagegen habe er sich erfolgreich gewehrt. Er könne doch nicht Spielleiter sein, ohne Einfluss auf die Besetzung zu haben. Stückl glaubt von daher, dass es eher um Machtfragen gehe als um ein transparentes Bewerbungsverfahren. Von einem Gemeinderatsmitglied habe er schon vor einem Jahr zu hören bekommen: „Du wirst es nicht mehr werden.“

Andreas Rödl (CSU) weist die Vorwürfe zurück, über manches sei er schon „irritiert“. Mit dem Aufruf zur Bewerbung sei ja keine Entscheidung für oder gegen eine Person gefallen. Der Gemeinderat werde sich genau überlegen, wen er mit der Aufgabe des Spielleiter-Postens betraue, sagte Rödl.

Konkret sieht der Zeitplan laut Gemeinderatsbeschluss nun so aus: Interessenten sind aufgerufen, sich bis 31. Dezember 2024 zu bewerben. Der Gemeinderat trifft dann eine Vorauswahl. Die ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten sollen dann bis 31. März 2025 ihre Ideen und Konzepte für die Passionsspiele 2030 in einer Bürgerversammlung öffentlich vorstellen. Der Gemeinderat entscheidet auf dieser Grundlage bis 31. Mai 2025, wer Spielleiter 2030 werden soll. (01/1971/27.06.2024)