Sehenswertes Melodram über “Mein Leben mit Amanda”

Außergewöhnliches Drama um einen Mittzwanziger, der sich nur vorsichtig ins Leben tastet, aber nach dem Tod seiner Schwester mit der Frage konfrontiert wird, ob er die Verantwortung für deren Tochter tragen kann.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Im Dasein von David (Vincent Lacoste) wirkt noch vieles provisorisch. Der 24-Jährige bekommt manches noch nicht ganz auf die Reihe und tastet sich im Leben eher vorwärts. Sein Geld verdient der junge Mann aus Paris als Baumpfleger und indem er Touristen und Zuzüglern Wohnungen vermittelt. Mit der etwa gleichaltrigen Lena, der er hilft, ins Haus gegenüber einzuziehen, flirtet er ein wenig, ohne konkretere Absichten zu haben.

Doch dann passiert etwas, was sein Leben umkrempelt: Seine Schwester wird bei einem brutalen Gewaltakt getötet. Als nächster Angehöriger kümmert er sich fortan notgedrungen um seine siebenjährige Nichte Amanda, zögert aus Unsicherheit und Hilflosigkeit aber die Entscheidung heraus, ob er ihr gesetzlicher Vormund werden will.

Mit gelassener Detailgenauigkeit entwickelt das Drama von 2018 sich überlagernde Trauer- und Neufindungsprozesse und gewinnt durch ruhige Beobachtungen und das konzentrierte Spiel der Darsteller eine hohe Authentizität. Der gefühlvolle Film versagt sich jede Überdramatisierung und entfaltet behutsam seine anrührende Wirkung.

Im Dasein von David wirkt vieles provisorisch. Der 24-Jährige bekommt manches nicht ganz auf die Reihe. Sein Geld verdient der junge Mann aus Paris als Baumpfleger und indem er Touristen und Zuzüglern Wohnungen vermittelt. Mit der gleichaltrigen Lena flirtet er ein wenig, ohne konkretere Absichten zu haben.

Währenddessen muss sich seine Schwester Sandrine allein um ihre siebenjährige Tochter kümmern. Auch Davids Umgang mit den beiden ist eher flapsig-freundschaftlich. Mit Nichte Amanda spielt er gerne, doch mit der Forderung, Essen für sie zu kochen oder mit an ihre Hausaufgaben zu denken, wäre er überfordert.

Einen Zwist löst die Frage nach dem Umgang mit der in London wohnenden Mutter aus. Die hat sich gerade wieder gemeldet – 20 Jahre, nachdem sie ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat. David hat ihren Brief zerrissen, Sandrine aber erwägt ein Treffen und schenkt mit eindeutigem Hintergedanken ihrem tennisbegeisterten Bruder drei Karten fürs Wimbledon-Turnier.

Es gehört zu den meisterlichen Elementen von “Mein Leben in Amanda”, wie Regisseur Mikhael Hers zunächst gelassen den Alltag der Figuren mit all seinen Ritualen, Banalitäten und kleinen Dramen andeutet. Dann jedoch vollzieht der französische Regisseur einen schockierenden Einschnitt, der ohne Vorwarnung passiert. Als David sich eines Abends erneut verspätet, erwartet ihn in dem Park, in dem sie Sandrines Führerschein feiern wollen, ein surreales Szenario: Zahlreiche Menschen liegen reglos und blutverschmiert auf der Wiese. Schnell ist klar, dass Sandrine zu den Toten gehört.

Ein Terroranschlag. Doch dazu werden im Film nur wenige Informationen geliefert. Denn Hers geht es nicht um die politisch-gesellschaftlichen Aspekte der Schreckenstat. Ihn beschäftigen die Trauerprozesse, die auch schon in seinem Film “Dieses Sommergefühl” im Zentrum standen.

David erlebt, wie seine verletzten Freunde versuchen, wieder den Anschein von Normalität in ihr Leben zu bringen, ihre kaum heilbaren seelischen Wunden aber nicht verbergen können. Zum Dreh- und Angelpunkt des Films wird jedoch die Beziehung zwischen ihm und Amanda, angefangen bei der schweren Aufgabe, die Kleine über den Tod ihrer Mutter zu informieren.

In den folgenden Wochen müssen beide immer wieder überwältigende Anfälle von Trauer durchmachen. Dazu kommen sehr pragmatische Fragen zu Amandas rechtlichem Status: Ist David in der Lage, ihre Vormundschaft zu übernehmen? Oder läuft es vielleicht doch auf ein Kinderheim hinaus?

“Mein Leben mit Amanda” ist auch dann weiter behutsam und unaufgeregt, wenn es um Davids Ringen mit sich selbst geht: Traut er sich die Verantwortung für ein Kind zu? Der Film schildert das nicht als geradlinigen Prozess, sondern als Entwicklung mit Fortschritten und Rückschlägen. David stellt sich auf die Einschlafschwierigkeiten seiner Nichte ein und hält ihr nachts einfach die Hand. Auf Amandas bockige Phasen versucht er mit vernünftigen Argumenten zu reagieren. Fragen, wann kleine Schlussstriche angebracht sind, um anders weiterzumachen, werden lebensbestimmend.

In seiner unaufdringlichen, beobachtenden Inszenierung verweigert sich Hers keineswegs der emotionalen Seite des Stoffes: “Mein Leben mit Amanda” ist vom Ansatz her ein Melodram, in dem die Gefühle der Figuren jederzeit im Fokus stehen, und bei dem eine gefühlvolle Musik viele Szenen untermalt – auch dies jedoch stets mit Gefühl für das rechte Maß.

Authentisch bleibt der Film von 2018 überdies durch das konzentrierte Zusammenspiel der Darsteller. Vincent Lacoste ist eine Idealbesetzung für Davids jungenhafte Überforderung, die kleine Isaure Multrier eine Filmdebütantin, die in Amandas häufig stillen Momenten ebenso glaubhaft ist wie in den plötzlichen Trauerschüben.

Jeder für sich und doch oft gemeinsam tasten David und Amanda sich in die Welt zurück, erweitern ihren Bewegungsradius und schlagen neue Kapitel auf. Wenn dieser wunderbar zu Herzen gehende, gänzlich undidaktische Film doch eine Botschaft vermitteln will, ist es wohl diese: Kein Raum lässt sich auf ewig von Angst und Trauer besetzen, denn das Leben erobert sich unaufhaltsam zurück, was ihm geraubt worden ist.