Sehen, was man sehen will: Museum Reinhard Ernst öffnet in Wiesbaden

Wenn das Museum Reinhard Ernst (MRE) in Wiesbaden am Sonntag zum ersten Mal seine Türen für Besucherinnen und Besucher öffnet, gehen für den namensgebenden Stifter rund acht Jahre der Planungs- und Bauzeit zu Ende: „Es war manchmal keine einfache Zeit, aber im Endeffekt ist es so geworden, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagt Reinhard Ernst im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Interesse an dieser neuen Anlaufstelle für abstrakte Kunst scheint groß: Die Tickets für den Eröffnungstag sind bereits ausverkauft.

Der imposante Bau beherbergt künftig Teile der fast 1.000 Werke umfassenden Privatsammlung Ernsts und ist für sich genommen schon einen Besuch wert. Entworfen hat ihn der mit dem Kunstmäzen befreundete, renommierte Architekt und Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki (1928-2024). Das MRE ist der zehnte und zugleich letzte Museumsbau des Anfang Juni verstorbenen Japaners. Ihm ist bis Februar kommenden Jahres eine Sonderausstellung im MRE gewidmet.

Das Hauptaugenmerk des Museums liegt jedoch auf der abstrakten Kunst nach 1945, die der im selben Jahr geborene Unternehmer Ernst seit mehreren Jahrzehnten sammelt. Der Künstler Frank Stella (1936-2024) hat mit seinem Satz „Du siehst, was du siehst“ auf den Punkt gebracht, was Ernst an der abstrakten Kunst fasziniert: „Es gibt keinerlei Vorschriften. Abstrakte Kunst gibt mir die Möglichkeit, das zu sehen, was ich sehen will“, sagt Ernst. Es sei eine Kunstform, die auch Kinder intuitiv begriffen. Auf die jungen und jüngeren Besucher legt das Museum ohnehin einen besonderen Fokus: Bis 18 Jahre ist der Eintritt frei, vormittags öffnet das Haus ausschließlich für Schulklassen und Bildungseinrichtungen.

„Wir wollen Kinder an abstrakte Kunst heranführen und die Kreativität in ihnen wecken“, betont Ernst, der unter anderem mit der Herstellung von Präzisionsgetrieben sein Vermögen verdiente. Diese Kreativität werde in der Wirtschaft unbedingt benötigt. „Wir haben zu wenige kreative Menschen. Und deshalb ist es sinnvoll, dass man früh beginnt, Kinder an Kunst, an Musik heranzuführen.“ Die Finanzierung der Kulturarbeit und Kunstvermittlung trägt die Stiftung des Ehepaares Sonja und Reinhard Ernst selbst – so wie auch die gesamten Baukosten in Höhe von rund 80 Millionen Euro, als auch die fortlaufenden Betriebskosten.

Die abstrakte Kunst ist für Reinhard Ernst eine Weltsprache, nichts Elitäres – auch wenn das oft zu hören sei. „Unsinn hoch drei! Das Gegenteil ist der Fall. Was man in einem Gemälde sieht oder nicht sieht, darüber lässt sich streiten“, sagt Ernst. „Aber ich habe die Freiheit, für mich selbst zu erkennen, ob mich eine Arbeit anspricht oder nicht.“ Von den Museumsgästen, die bisher noch keine Berührungspunkte dazu hatten, wünscht er sich einen Besuch ohne spezielle Erwartungen, aber mit der Bereitschaft, sich auf das einzulassen, was zu sehen ist.

Das werden in der Eröffnungsausstellung „Farbe ist alles!“ zunächst rund 60 internationale Werke sein, unter anderem von Josef Albers, John Chamberlain und auch eine Handvoll der amerikanischen Malerin Helen Frankenthaler (1928-2011) – Ernsts Lieblingskünstlerin. Ausgestellt sind die Werke in individuellen Räumen, keiner von ihnen teilt sich die Abmessungen mit einem anderen. Hervorstechend ist dabei vor allem Raum 3, „die Kathedrale“ genannt, der mit 14 Metern Deckenhöhe und Balkon für eine andächtige Stimmung beim Betrachten der Kunst sorgt.

„Es gibt nichts, was dem Zufall überlassen ist“, sagt Ernst. Ein erster Besuch im Haus zeigt, dass das von dem speziellen Putz, der die Akustik unterstützen soll, über die Einbeziehung der benachbarten Bauten und ihren Besonderheiten bis hin zu originellen Waschbecken in den Sanitäranlagen umfassend gemeint ist.

Wichtig für Ernst zu betonen ist aber, dass das Haus nicht ausschließlich Werke aus seiner Sammlung beherbergen werde. „Wir werden Werke ausleihen und auch selbst verleihen. Es ist ein Museum für die Kunst, nicht für meine Sammlung.“