Krankenhaus-Pastorin: Seelsorgende müssen Grenzen einhalten

Abstand zum Gegenüber hält die Hamburger Krankenhausseelsorgerin Vivian Wendt für Seelsorgende für wichtig. Dann könnten sie wirklich helfen.

Auch Seelsorgende sollten sich selbst Pausen gönnen
Auch Seelsorgende sollten sich selbst Pausen gönnenImago / Michael Westermann

Für die evangelische Hamburger Krankenhausseelsorgerin Vivian Wendt ist die Gesellschaft mitverantwortlich für viele psychische Erkrankungen. „Um Hilfe zu bitten, ist in unserer Leistungsgesellschaft mit Scham verbunden“, sagt sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb verausgabten sich viele Menschen ohne Rücksicht auf sich selbst, zum Beispiel in der Pflege von Angehörigen, erklärt die Pastorin, die in der Psychiatrie der Asklepios-Klinik Nord arbeitet. Am Samstag, 14. September, hält sie auf der Tagung für ehrenamtliche Seelsorgende in der Nordkirche in Travemünde einen Vortrag zu psychischer Gesundheit in der Seelsorge. Neben den hauptamtlichen Pastorinnen und Pastoren gibt es in der Nordkirche auch etliche Ehrenamtliche, die sich etwa in der Telefonseelsorge oder im Besuchsdienst im Krankenhaus oder Hospiz engagieren.

Seelsorgende müssten Grenzen einhalten, nur dann könnten sie für andere da sein, erklärt Wendt. Gerade Seelsorgende hätten oft den Anspruch, dass sie für die Probleme anderer Menschen unendlich viel Verständnis und Zeit haben müssten. „Aber das ist unrealistisch. Ich brauche Abstand zu meinem Gegenüber, um gesund und kommunikationsfähig zu bleiben.“ Dazu gehöre, ein Gespräch, etwa in der Telefonseelsorge, nach einer gewissen Zeit zu beenden, mit dem Hinweis, dass in einem Telefonat nicht alles besprochen werden könne.

Supervision hilft Seelsorgenden

„Seelsorgende müssen sich immer wieder klarmachen: Wenn ich über meine Grenzen gehe, erschöpft bin und nachts nicht mehr schlafen kann, kann ich auch anderen nicht mehr helfen“, sagt Wendt. Supervision, also der Austausch mit anderen Seelsorgenden, helfe bei der Verarbeitung besonders schwerer Schicksale. „In St. Georg habe ich mal in einem Projekt mit drogenabhängigen Frauen und Mädchen gearbeitet. Ohne Supervision hätte ich das nicht geschafft.“

Zum Thema Achtsamkeit gebe es inzwischen zwar ein großes Angebot an Kursen und Büchern. Das zeige aber auch, dass viele Menschen sich und ihre Grenzen verloren hätten. „In unserer Gesellschaft, in der das Kapital die Macht hat, herrscht ein lineares Lebensprinzip, alles soll immer schneller, höher und weiter gehen.“ Das sei aber unmöglich, weil das Leben nicht linear, sondern dynamisch verlaufe. Menschen seien begrenzt und verletzlich, würden alt, krank und hilfebedürftig.

Weil aber das Leistungsprinzip herrsche und diejenigen als Loser gelten, die nicht durchpowern können, dächten alle, sie müssten alles allein schaffen. „Das Ergebnis dieses idiotischen Prinzips erlebe ich jeden Tag bei meiner Arbeit in der Psychiatrie“, erklärt Wendt. 90 Prozent ihrer Patientinnen und Patienten hätten sich aus dem Blick verloren, weil sie immer anderen geholfen hätten, nur nicht sich selbst. Viele müssten sich mit Drogen betäuben, weil sie ihren Ansprüchen nicht gerecht würden. „Da bin ich froh, als Christin zu wissen: Nö, Gott kann mir zwar Kraft schenken, die ich gerade nicht habe, aber um Hilfe zu bitten, wenn es einem zu viel wird, ist klug und richtig.“