Die verschlafene Gemeinde Waldsee wird erpresst: Eine Million wollen die Kriminellen, erst dann werden die Rechner der Stadtverwaltung wieder freigeschaltet. Schon bald wird klar: Potenzielle Täter gibt es im Ort genug.
Dass Ralf Husmann perfekt pointierte Dialoge zu schreiben vermag, ist hinlänglich bekannt – seit Jahrzehnten sorgt er für Comedy-Höhepunkte im deutschen Fernsehen, “Stromberg” oder die “Merz gegen Merz”-Reihe. Und der Atem scheint ihm nicht auszugehen: Auch die Komödie “Ein ganz großes Ding”, die das ZDF am 31. Juli von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, strotzt wieder nur so vor präzise sitzenden Pointen und wahren Dialogperlen.
Etwa, wenn die ewig dynamische Kleinstadt-Bürgermeisterin Kristina Lurz ihre ewig renitente Mitarbeiterin von den Vorzügen des sogenannten Fortschritts zu überzeugen sucht: “Das ist eine Chance für Waldsee – damit hier was nach vorne geht.” – “Wieso – was ist denn vorne?” – “Die Zukunft, Mechthild, die Zukunft!” – Die kommt doch sowieso, die Zukunft! Dafür brauchen wir doch keine Inder.”
Während Kristina (Silke Bodenbender) im verschlafenen Waldsee die Fraktion anführt, die offen für Neues ist, Dinge verändern möchte (wenn nötig, auch mit der Brechstange) und deshalb unter anderem davon träumt, indische IT-Kräfte anzusiedeln, gehört Mechthild (Inga Dietrich) dem Gegenlager an: jenen, die allem Neuen mit Argwohn entgegenblicken und es schon als Zumutung empfinden, ihr Mailfach jeden Tag checken zu sollen.
Aus dieser Konfrontation Neu gegen Alt, Globalisierung versus Faxgerät in deutschen Amtsstuben schlagen Husmann und die nicht minder begnadete Regisseurin Francis Meletzky wunderbare Funken. Dabei bekommt jede Seite ihr Fett ab, und zwar ohne dass man das Gefühl hätte, hier würde im Willen um Ausgleich brav irgendeine Strichliste abgehakt.
Im Gegenteil: “Ein ganz großes Ding” ist eine wahnsinnig lustige, liebevoll gemachte Komödie, die trotz ihrer aktuellen Themen – gesellschaftliche Spaltung, Männlichkeitsbilder, Fremdenfeindlichkeit, abgehängte Provinz – kein bisschen didaktisch daherkommt. Stattdessen wird eine Geschichte erzählt, die sich aus deren skurrilen, vielschichtig gezeichneten und durch die Bank grandios gespielten Protagonisten ergibt, von diesen vorangetrieben wird – und sich also durch und durch organisch anfühlt.
Der Schauplatz Kleinstadt entpuppt sich dabei als stimmig: ein übersichtlicher Organismus, dem niemand der Anwesenden entkommt – der aber mit seiner räumlichen Nähe auch dafür sorgt, dass es nicht zu böse wird. Er bewirkt eher eine gewisse Domestizierung seiner Bewohner.
Alles beginnt also mit dieser Idee mit den Indern, von denen vor allem der zentrale Arbeitgeber – die Firma des einflussreichen Unternehmers Kraft (Jörg Schüttauf) – profitieren würde. Doch noch ehe Kristina das Wort “IT-Fachkräfte” buchstabieren kann, formiert sich im Städtchen der Widerstand, angeführt von Mechthild und ihrem Dauer-Flirt, dem Kneipenbetreiber Harry. Und dann werden plötzlich auch noch die Computer der Stadtverwaltung lahmgelegt, mitsamt Lösegeldforderung.
Fortan macht sich der halbe Ort auf die Suche nach den anonymen Erpressern, wobei alle früher oder später in Harrys Kneipe landen. Während Kristinas Mann Lennart (Christian Erdmann) nächtens dort einsteigt, um endlich einmal seine Frau zu beeindrucken, hat diese schon längst den Lokaljournalisten Ansgar mit ähnlich gearteten Recherchen beauftragt. Zwei von Kraft angeheuerte Möchtegern-Gangster – eine wunderbare Hommage an dieses typische Genre-Versatzstück! – nehmen ihrerseits Lennart in die Mangel.
Es geht also ziemlich “Fargo”-mäßig zu in dieser schwarzhumorigen deutschen Provinzposse (wenn auch deutlich weniger blutig als in dem berühmten Film der Coen-Brüder), in der Dummheit, Überforderung, Ehrgeiz und andere menschliche Unzulänglichkeiten fröhliche Urständ feiern. Doch auch Aki Kaurismäkis “I Hired a Contract Killer” lässt grüßen – und via Musik weht ein Hauch von Western durch Waldsee…
Eine wunderbar gelungene Komödie, sorgfältig komponiert, perfekt getimt und bis an den Rand gefüllt mit, ja, tatsächlich Liebe: zu den Figuren mit all ihren Abgründen, den Feinheiten von Sprache, den Möglichkeiten der Bildgestaltung, kleinsten Details und, last but not least, dem Konzept Kleinstadt.