Schuster: Deutsche Justiz hat Sehschwäche bei Antisemitismus

Auf dem rechten Auge blind sei die deutsche Justiz nicht mehr, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden. Kritik äußert Josef Schuster dennoch.

Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden
Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der JudenImago / epd

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bescheinigt der Justiz in Deutschland eine gewachsene Aufmerksamkeit für rechtsradikales Gedankengut. „Aber sie hat rechts, beziehungsweisen in Fragen von Antisemitismus, noch immer eine Sehschwäche“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

„Ich habe früher oft den Eindruck gehabt, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind ist. Also dass sie Boshaftigkeiten und Attacken, die aus dem rechtsradikalen Spektrum kommen, ausblendet. Das würde ich in dieser Schärfe heute nicht mehr sagen“, sagte der 69-Jährige mit Blick auf mehrere Gerichtsurteile der vergangenen Monate. Dennoch gebe es viele Beispiele dafür, dass in der Justiz bewusst versucht werde, antisemitische Äußerungen „so harmlos zu interpretieren, wie sie mit Sicherheit nicht gedacht gewesen“ seien.

Kritik an Israels Regierung legitim

„Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Die Menschenwürde allerdings auch – wenn ich etwa an Propaganda und Hetze denke“, betonte der Zentralratsvorsitzende. „Die Justiz sollte Minderheiten im Sinne einer demokratischen Gesellschaft davor beschützen, dass zu ihrer Ermordung aufgehetzt wird.“

Wenn jemand Positionen der israelischen Regierung kritisiere, sei das legitim, fügte Schuster hinzu. Anders sei das, wenn die Auslöschung Israels gefordert werde. „Kein Mensch auf jüdischer oder israelischer Seite spricht sich für die Auslöschung der Palästinenser aus. Das ist aber die Hassbotschaft, die bei Demonstrationen wie kürzlich in Berlin geäußert wird: die Auslöschung des jüdischen Staates. Die Auslöschung der Juden.“

„Keine Kleinigkeit“

Auch die Leugnung der Schoah sei keine Kleinigkeit, sagte der Zentralratsvorsitzende. „Wenn wir hier weggucken würden, würden wir gesellschaftlich Erreichtes aufs Spiel setzen.“ Es sei ihm bewusst, dass die deutsche Justiz damit die freie Rede einschränke. „Das tut man nicht leichtfertig. Deutschland geht damit einen anderen Weg als die meisten liberalen Demokratien, in denen diese Leugnung nicht verfolgt wird.“ Aber dieser Weg sei richtig, gerade auch wegen der besonderen Verantwortung von Deutschland.

Schuster übte zugleich Kritik an der neuen israelischen Regierung. Die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geplante Justizreform bedeute praktisch eine Entmachtung der unabhängigen dritten Gewalt in Israel. Damit würde die Gewaltenteilung aufgeweicht und die Demokratie gefährdet. „Hinzu kommt, dass Netanjahu nicht nur Rechtsextreme, sondern auch Vorbestrafte zu Ministern gemacht hat.“