Rima* näht. Sie näht mit der Hand das Oberleder auf eine Schuhsohle. Sie tut dies zu Hause, in ihrem Dorf, in der Nähe der Stadt Ungaran in Nord-Java / Indonesien. Rima ist eine der über 500 Heimarbeiterinnen des deutschen Schuh-Herstellers ARA. Alle anderen Produktionsschritte finden in einer Fabrik statt, die ARA dort betreibt. Hier werden von rund 2000 Menschen jeden Tag 8000 Paar Schuhe hergestellt.
„Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert.“ (Menschenrechtserklärung, Artikel 23,3)
Es ist ein Kennzeichen der globalisierten Wirtschaft, dass Unternehmen da produzieren, wo die Kosten am niedrigsten sind. Oft sind damit unmenschliche Arbeitsbedingungen verbunden, zum Beispiel die Zahlung von Hungerlöhnen.
Menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind seit vielen Jahren Thema und Anliegen der Evangelischen Kirche von Westfalen, gemäß dem Leitsatz: Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen. Nach biblischer Überzeugung ist der Mensch als Abbild Gottes geschaffen und hat ein Recht auf ein Leben in Würde. Jede Form der Ausbeutung von Menschen ist mit dieser Überzeugung unvereinbar.
So stellt die Evangelische Kirche von Westfalen fest: „Durch öffentliche Kritik an Unternehmen wird öffentlicher Druck aufgebaut und ausgeübt. Die EKvW unterstützt in diesem Sinn alle Formen des bürgerschaftlichen Engagements, die sich für ökologische und soziale Mindeststandards bei der Produktion von Waren einsetzt.“
Bisher wurden in erster Linie Arbeitsplätze in Fabriken thematisiert. Am Rande eines Besuchs der Kirchenleitung der westfälischen Landeskirche in Indonesien im Jahr 2013 wurden jedoch Dokumente der Firma ARA bekannt, die das Thema Heimarbeit in den Fokus rückten. Heimarbeiterinnen sind in vieler Hinsicht schutzloser als ihre Kolleginnen in den Fabriken, sie verdienen auch erheblich weniger.
Heimarbeiterinnen waren schutzlos
Die Landeskirche gab daraufhin eine Studie in Auftrag, die die Situation der ARA-Heimarbeiterinnen untersuchen sollte, sie wurde in Kooperation mit dem Institut Südwind und indonesischen Partnern durchgeführt. Ziel war es, in anschließenden Gesprächen mit der ARA-Firmenleitung eine Verbesserung der Situation der Heimarbeiterinnen zu erreichen.
Rima bekam 2014 für das Nähen von einem Paar Schuhe 2500 indonesische Rupien, das waren damals 16 Euro-Cent. Pro Tag schaffte sie bei einer Arbeitszeit von fast neun Stunden zehn Paar Schuhe, sie hatte also einen Tageslohn von 1,60 Euro. Bei einer Sechs-Tage-Woche kamen im Monat 650 000 Rupien zusammen, also 41,60 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn für diese Region lag damals bei 1,4 Millionen Rupien – Rima bekam weniger als die Hälfte.
Dazu kommt, dass die Heimarbeiterinnen ihre fertige Arbeit jeden zweiten Tag zur Fabrik oder zu einer Annahmestelle bringen, wo sie dann auch neues Material bekommen. Die Transportkosten müssen sie selbst tragen, verschlissene Transporttaschen müssen sie auf eigene Kosten ersetzen, was ihren kargen Lohn noch erheblich vermindert. Sozialleistungen, die ARA seinen Fabrikarbeiterinnen gewährt, gelten nicht für den Bereich der Heimarbeit.
Nach Abschluss der Studie hat der Autor zusammen mit Vertreterinnen des Institut Südwind zwei Gespräche mit der ARA-Firmenleitung geführt. Damit sollte erreicht werden, dass ARA für seine Heimarbeiterinnen dieselbe Verantwortung übernimmt wie für die Belegschaft in der Fabrik, zumal sie schon bis zu 20 Jahren für „ihre“ Firma arbeiten.
Bei weiteren Recherchen in diesem Jahr konnte festgestellt werden, dass ARA erhebliche Verbesserungen für die Heimarbeiterinnen umgesetzt hat. So wurde ihr Lohn um 30 bis 40 Prozent (je nach Schuhmodell) erhöht, auch stellt ARA nun stabile Taschen für den Transport zur Verfügung. Außerdem hat das Unternehmen seine Selbstverpflichtung (Code of Conduct) im Blick auf soziale und ökologische Standards erheblich ausgeweitet und verbessert. Sie orientieren sich nun an den Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Bei einem dritten Treffen mit der ARA-Geschäftsführung wurde deutlich, dass trotzdem noch Fragen offen bleiben. So sieht sich das Unternehmen weiterhin nicht in der Lage, für die Heimarbeiterinnen in vollem Umfang Verantwortung zu übernehmen. Dies steht im Widerspruch zu seinem eigenen Verhaltenskodex, in dem es heißt: „So wie wir uns in Sachen Qualität nie auf Kompromisse einlassen, sind wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Unternehmen bewusst. Das gilt für alle Bereiche entlang der Wertschöpfungskette“. Nach eigenen Angaben setzt die Selbstverpflichtung „den Rahmen für sämtliche unternehmerische und gesellschaftliche Aktivitäten des Unternehmens“.
Grundlegende Uneinigkeit besteht weiterhin in der Berechnung der benötigten Arbeitszeit der Heimarbeiterinnen für ein Paar Schuhe. Während die Studie einen mittleren Wert von 52 Minuten ergab, legt ARA einen Wert von 25 bis 30 Minuten pro Paar zu Grunde. Wenn ARA der Arbeitszeit der Studie folgen würde (die dem Autor bei weiteren Besuchen von Heimarbeiterinnen im Februar mehrfach bestätigt wurde) und sich am gegenwärtigen Mindestlohn orientierte, wäre dies eine Mehrbelastung von 19,10 Euro-Cent pro Paar.
Arbeitszeit muss fair berechnet werden
Das Institut Südwind ist Partner eines EU-weiten Projekts „Change your Shoes“, das das Unternehmen ARA weiterhin im Blick behält. Es verleiht der Forderung weiter Nachdruck, dass die Selbstverpflichtung des Unternehmens auch auf die Heimarbeiterinnen angewendet wird. Außerdem soll ARA eine Arbeitszeitberechnung bei den Heimarbeiterinnen durchführen, den gesetzlichen Mindestlohn zahlen und die Transportkosten der Heimarbeiterinnen übernehmen. Schließlich sollen auch die Heimarbeiterinnen in die Gesundheitsversorgung mit aufgenommen werden.
Der Gesprächsprozess mit ARA zeigt, dass Verbesserungen möglich sind, wenn Missstände offen auf den Tisch kommen und gleichzeitig eine konstruktive Atmosphäre herrscht. Immer mehr Menschen achten darauf, unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden, die sie kaufen. Auch aus diesem Grund sollten Unternehmen ihre soziale Verantwortung ernst nehmen.
*Name geändert
☐ Dietrich Weinbrenner ist Pfarrer im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung und ist dort Ansprechpartner für den Bereich ausbeuterische Arbeit. Er hat in Indonesien zu ARA recherchiert.
Weitere Informationen über die Produktionsweise der Textilindustrie und den Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Bereich finden sich im Internet unter anderem auf folgenden Seiten:
☐ www.suedwind-institut.de/publikationen/
☐ www.ci-romero.de
☐ www.saubere-kleidung.de
☐ www.ara-shoes.de/deutsch/unternehmen/codeofconduct.html.
