Scholl-Latour hat Erlebnis des Korrespondenten transportiert

Dem vor 100 Jahren geborenen Journalisten und Buchautor Peter Scholl-Latour (1924 – 2014) ist es laut dem früheren Leiter des Grimme-Institus, Uwe Kammann, nicht darum gegangen, eine objektive Wahrheit darzustellen. Scholl-Latour habe stattdessen das persönliche Erlebnis des Korrespondenten transportieren wollen, sagte der Journalist dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für seine Reportagen aus den Brennpunkten der Welt wurde Scholl-Latour vielfach ausgezeichnet. Zugleich war er aber auch umstritten.

epd: Scholl-Latour war berühmt für seine Reportagen direkt vor Ort im Vietnamkrieg und in anderen Krisengebieten. Zugleich gab es aber auch die Kritik mangelnder Objektivität. Wie bewerten Sie die Vorwürfe?

Kammann: Er selbst hat immer „saubere Dokumentationen“ gefordert, welche nicht beanspruchten, eine objektive Wahrheit darzustellen. Vielmehr gehe es darum, das persönliche Erlebnis des Korrespondenten zu transportieren. Dies ist sicher eine ehrliche Haltung. Denn das subjektive Erleben, das Einbringen der eigenen Erfahrungen gehört zu den Voraussetzungen der journalistischen Arbeit. Wichtig ist natürlich immer, dies transparent zu machen und äußerste Wahrhaftigkeit anzustreben.

epd: Dem Journalisten und Buchautoren wurde auch vorgeworfen, rassistische Vorurteile zu bedienen und ein falsches Bild vom Islam zu vermitteln. Sind die Vorwürfe berechtigt?

Kammann: Seine Sicht auf den Islam war nüchtern, ohne Illusionen, viele seiner Einschätzungen haben sich bestätigt. Er kannte sicherlich besser und umfassender als jeder andere Journalist die vielfältigen Ausprägungen des Islam, auch die damit verbundenen politischen Implikationen, Konflikte und Machtkämpfe. Seine Voraussetzungen waren gut, denn er hatte auch Arabistik studiert, beherrschte die arabische Sprache, kannte viele Akteure persönlich.

epd: Was waren besondere Leistungen Scholl-Latours?

Kammann: Auf Grundlage einer umfassenden Bildung ungeheuer neugierig zu sein, offen für wesentliche Entwicklungen. Dafür unternahm er weltweit, geradezu rastlos, erkundende Reisen, und leitete daraus scharfsichtige Beurteilungen ab. Bewundernswert auch seine faszinierende Produktivität und prägende Präsenz, in vielfältigen Medienformen, inklusive seiner Sachbücher. Diese Kombination ist unerreicht.