Schillers Räuber: Die Stiftung Weimar löst einen Kriminalfall von 1856
Weimar 1855: Briefe von Friedrich Schiller sind aufgetaucht. Sammler reagieren elektrisiert. Doch dann ermitteln die Staatsanwälte. Die Ausstellung „Der gefälschte Schiller“ arbeitet den Fall auf.
„Sehen wir das zitternde Reh…“, steht mit dunkler Tinte geschrieben auf einem heute vergilbten Blatt Papier. Es sind die ersten Worte des Gedichts „Die Geschlechter“, das Friedrich Schiller 1796 veröffentlichte – und sie sind gefälscht. Denn unbemerkt hat der Fälscher einen Druckfehler aus einem Nachdruck in sein angebliches Originalmanuskript übernommen. Im Original des Gedichts von Friedrich Schiller (1759-1805) über die Unterschiedlichkeiten von Mann und Frau heißt es: „Scheu wie das zitternde Reh“.
„Das ist eine der Dummheiten, die Heinrich von Gerstenbergk unterlaufen sind“, sagt Gabriele Klunkert. Seit 2018 beschäftigt sich die Kuratorin der neuen Ausstellung „Mit fremder Feder – Der gefälschte Schiller“ im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv mit dem Kriminalfall, der 1856 nicht nur die Stadtgesellschaft erschütterte. Wenigstens 400 Fälschungen der in Sammlerkreisen begehrten Handschriften der Dichterikone waren damals auf dem Markt aufgetaucht.
Kabale und Diebe
Die Spur führte schnell zum Weimarer Architekten und Vermesser Heinrich von Gerstenbergk (1814-1887). Der adlige Name stammte vom Großvater. Er selbst war der Sohn eines unehelich geborenen Lotterieeinnehmers. Gerstenbergk lebte lange Jahre das unstete Leben eines Mathematik-Nachhilfelehrers in Geldnöten. Daneben tat er sich als Autor populärwissenschaftlicher Werke hervor.
1849 ging er dann recht planvoll zu Werke, um zu Reichtum zu gelangen. Noch heute lässt sich aus den Entleihlisten der Großherzoglichen Bibliothek erschließen, dass sich Gerstenbergk plötzlich für Werke von Friedrich Schiller interessierte. Kurz darauf tauchten die ersten Fälschungen in Weimar auf.
Etwa 240 dieser Blätter lagern in Schränken des Goethe- und Schiller-Archivs. „Auf ihre Weise sind das auch wichtige Quellen“, sagt Gabriele Klunkert. Sie bezeugten zum einen den historischen Betrugsfall. Zum anderen aber zeigten sie auch die fast unglaubliche Verehrung, die Schiller selbst 50 Jahre nach seinem Tod in der deutschen Bevölkerung zuteilwurde. Beides zeige die Ausstellung.
Über den Dilettantismus der Käufer
Erstmals werden dafür einige der seit 160 Jahren unter Verschluss gehaltenen Falsifikate wieder gezeigt. Letztmals der Öffentlichkeit präsentiert wurden sie 1856 im Kreisgericht Weimar. „Einen Betrugsfall mit unechten Handschriften hatte es damals noch nie gegeben“, betont die Kuratorin. Allein schon deshalb sei Gerstenbergks Kundschaft recht leichtgläubig gewesen. Zu den ahnungslosen Abnehmern gehörten die Königliche Bibliothek in Berlin, Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach und sogar Schillers jüngste Tochter, Emilie von Gleichen-Rußwurm.
Und weil Gerstenbergk die Handschriften nicht selbst verkaufte, sondern die Geschäfte – teilweise mit Echtheitszertifikaten von Weggefährten der Weimarer Klassik versehen – über untadelige Weimarer Bibliothekare und sogar die Goethe-Vertraute Caroline Riemer (1790-1855) abwickelte, setzte er schon damals Maßstäbe für Fälscher, die bis heute auf dem Kunst- und Antiquitätenmarkt angewendet werden. Erst als ein Kunde, der bereits echte Schriften Schillers gekauft hatte, die Handschriften miteinander verglich, flog der Schwindel auf.
Die Huldigung der Fälschung
Nicht nur der Fälschungsskandal war ohne historisches Vorbild, auch das Kreisgericht leistete zur Aufklärung Pionierarbeit auf dem Gebiet der Provenienzforschung. Es beauftragte Experten auf den Gebieten der Schriftsachkunde, Sprachwissenschaft und Materialanalyse mit der Untersuchung der Fälschungen. Auch dank der gründlichen Vorarbeit benötigte das Gericht nur zwei Tage, um Gerstenbergk zu zweijähriger Haft zu verurteilen.
Gabriele Klunkert hält die Fälschungen aus heutiger Sicht für plump. Sie seien leicht zu erkennen. „Ich glaube, wenn von Gerstenbergk es nicht übertrieben hätte, wäre er nie überführt worden“, sagt sie. So aber bekomme Weimar bis in die heutige Zeit immer mal wieder falsche Schillerschriften angeboten. Und zuletzt seien auch die Preise für die Falsifikate deutlich gestiegen.