Schenken – aber richtig

Über den Predigttext zum 2. Sonntag nach Trinitatis: Jesaja 55, 1-5

Predigttext
1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! 2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. 3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. 4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. 5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

Ich mag das Getümmel auf dem Wochenmarkt. In der Menge kann ich mich treiben lassen, ohne groß nachdenken zu müssen; kann zwischen Knoblauchfahne und Rosenduft den Alltagsmief vergessen. Je schwerer meine Einkaufstasche wird, desto leichter wird es meinen Schultern. Es tut gut, unter Leuten zu sein und die Lebendigkeit der Stadt zu spüren.

Meine Ohren genießen das Wetteifern der Marktschreier, die sich in Lautstärke und Verheißungen übertreffen, von frischestem Fisch und dicksten Kartoffeln.
Einer steht mittendrin und ist doch anders. Hält nicht hinterm Berg mit dem, was er anpreist, doch tut er es behutsam. Seine verheißungsvolle Stimme dringt gerade in ihrer Sanftheit zu mir durch:

Da ruft einer – hörbar, aber behutsam

Kommt, meine Damen und Herren, kommt her zum Wasser. Ihr habt noch Durst? Also los dann, kommt her, trinkt. Ihr habt kein Geld? Macht nichts, kommt her, hier könnt ihr ohne Geld kaufen. Ist schon gut. Denn ihr sehnt euch ja nicht nur nach Wasser – das weiß ich doch. Wasser, klar, das braucht man zum Leben, wie das täglich Brot. Hier gibt es alles, was ihr zum Leben braucht.

Und ich merke: Ja, ich habe tatsächlich Durst. Ich bin ausgelaugt, mit trockener Kehle und müden Gliedern. Und eine Sehnsucht regt sich, die ich für gewöhnlich schlummern heiße, weil sie das Leben noch verkompliziert und weil die Erfahrung behauptet, dass sie ohnehin unerfüllbar sei: Ich sehne mich nach einem, der nicht fordert, sondern gibt; der mein Leben reicher macht, statt an meinen Kräften zu zehren. Ich hab die Starre satt. Ich sehne mich nach Lebendigkeit.

Was der Fremde sagt, klingt lebendig, ja, und dabei so gar nicht fremd. Ich trete näher. An meine Nase dringt der Duft frisch gebackenen Schokoladenkuchens.
Ja, hier gibt es, was ihr zum Leben braucht. Wasser erfrischt die Kehle und klärt den Kopf. Ganz ohne Geld. Auch Wein und Milch gibt es bei mir – alles umsonst, was das Leben gut und schön macht. Wenn ihr zu mir kommt, werdet ihr etwas haben, das besser ist als alles Andere. Frisches Wasser, Wein, Milch: Köstlichkeiten, die über das Notwendige hinausgehen. Kommt her und stillt euren Durst nach Lebendigkeit: Wasser für einen frischen Geist! Kommt her und stillt euren Durst nach Leben: Gute Milch, die Alte und Junge sättigt. Guter Wein für ein rauschendes Fest, das niemals endet, das Lust macht auf mehr. Kommt her – hier habt ihr es gut! Ihr werdet euch an Gutem laben und das gute Leben leben.

Ich staune. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals jemanden so sprechen gehört zu haben: so wenig darauf bedacht, zu überzeugen – und gerade darin so überzeugend; so zart und darin so stark; so freigiebig, geradezu verschwenderisch. Der Klang der Worte macht mich gewiss: Was ich da höre, ist wahr. Denn ich merke, dass die schieren Worte mir gut tun und mich lächeln lassen. Da sieht mich jemand, mit allem, was ich brauche, mit allem Durst nach Leben und aller Angst vor Starre und aller Sehnsucht nach Fülle.

Als der Geschmack saftigen Schokoladenkuchens meinen Gaumen trifft, wird mir mit einem Mal bewusst, dass ich die Köstlichkeiten noch gar nicht gesehen habe, die der Fremde da anpreist, geschweige denn, dass ich von seinen Waren gekostet hätte. Ich habe weder Wasser getrunken, noch Milch, noch Wein.

Doch bereits die Worte plätschern in mir, erfrischen mich; machen mich zugleich satt und hungrig nach mehr. Ich senke den Blick, um die Auslagen anzuschauen, doch entdecke nur eine Hand, die sich mir entgegenstreckt. Dazu die vertraute Stimme:
Wenn du willst, höre ich nie mehr zu reden auf. Dafür hörst du mir zu. Abgemacht?
Ich zögere nicht, als ich die Hand ergreife.