Ruhepol im Chaos

Lange Warteschlangen, Berge von Koffern und verpasste Flüge: Am Flughafen in Hamburg läuft es zum Start der Ferien nicht rund. Mittendrin Pastor Björn Kranefuß.

Flughafenpastor Björn Kranefuß hilft Mitarbeitenden und Reisenden
Flughafenpastor Björn Kranefuß hilft Mitarbeitenden und ReisendenPrivat

Hamburg. Neulich zum Beispiel ist es die Mitarbeiterin eines kleinen Kaffeestands gewesen. Sie klagte dem Hamburger Flughafenpastor Björn Kranefuß ihr Leid. Von Passagieren werde sie wüst beschimpft, obwohl sie für die langen Warteschlangen und das Koffer-Chaos doch gar nichts könne. Der Theologe hat dann mit der Frau geredet, die froh war, selbst bald in die Ferien zu starten – und von Norddeutschlands größtem Flughafen und den Menschenmassen abschalten zu können.

Solche Begegnungen hat Kranefuß­ momentan oft. Etwa 16 000 Menschen arbeiten am Flughafen für 300 Firmen, und wer von ihnen in Kontakt kommt mit Passagieren, habe jetzt einen erhöhten Redebedarf, sagt der Pastor. Sie würden aktuell verstärkt den Kontakt zu ihm nutzen, um ihren Frust loszuwerden. Das passiert überall: in seinem Büro mit Blick auf das Treiben im Terminal 1 genauso wie bei seinen Gängen über den Flughafen. Schon auf dem Weg von der Kapelle zur Kantine würden sich Gespräche ergeben, sagt Kranefuß.

Schneller erholt als gedacht

Am Hamburger Flughafen kommt es schon seit mehreren Wochen zu langen Verzögerungen, vor allem vor dem Sicherheit-Check und bei der Ausgabe der Koffer. Es fehlen Mitarbeitende, die sich während der Pandemie andere Jobs gesucht haben. Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler verweist außerdem darauf, dass sich der Luftverkehr deutlich schneller erholt habe als vorhergesagt. „Momentan sind wir bei 70 Prozent des Aufkommens vor Corona“, sagt er. Wenn in diesen Tagen im Norden die Ferien beginnen, erwartet der Flughafen etwa 300 000 Passagiere pro Woche. Die Lage sei sehr angespannt, gibt der Manager zu.

Am Hamburger Flughafen stapeln sich die Koffer
Am Hamburger Flughafen stapeln sich die KofferUlf Compart

Mit genervten Passagieren hat Pastor Kranefuß aber kaum zu tun. Reisende begleitet er vorwiegend bei familiären Notfällen. Er betreut dann etwa Hinterbliebene, deren Angehörige bei einer Reise gestorben sind, oder wird kurzfristig gerufen, wenn ein Reisender spontanen Bedarf an Seelsorge hat. Auch um Obdachlose am Flughafen kümmert sich der Pastor immer wieder.

Nach zwei Jahren Pandemie hat Björn Kranefuß beobachtet, dass die Menschen wieder Lust aufs Reisen haben. „Es hat sich eine Urlaubslust aufgestaut“, sagt der Theologe. Wie sich diese Lust nun entlädt, bekommt Kranefuß manchmal lautstark zu hören – wenn etwa Teilnehmer von Jungesellen­abschieden auf dem Weg nach Mallorca mit ihrer Party schon in Hamburg-Fuhlsbüttel anfangen. Zum Treiben am Flughafen gehöre das aber dazu, sagt er.

„Ein Dilemma“

Kirche und der „Klima-Killer“ Flughafen – passt das zusammen? „Es ist ein Dilemma“, sagt der Seelsorger. Vor 20 Jahren habe der Flughafen noch als cooler Ort gegolten, an dem die Kirche Flagge zeigen wollte, nicht zuletzt weil hier viele Kulturen aufeinandertreffen. Inzwischen aber sei manchen in der Kirche­ die Seelsorge am Flughafen „verdächtig“. Der Ort sei zum Symbol für einen konsumgetriebenen Lebensstil­ geworden. „Natürlich ist Fliegen nicht gut fürs Klima“, sagt Kranefuß. Doch er gibt zu bedenken, dass Flugzeuge nur für 3 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich seien.

Vom Reisestress am Flughafen kann sich Björn Kranefuß erst Ende Juli erholen. Dann tritt er seinen eigenen Urlaub an – und fährt auf einen Bauernhof in Bayern. Mit dem Auto.