Rock Horror Picture Show – ein Märchen aus Transsexual-Transsylvanien
Das Spektakel mit dem außerirdischen Transvestiten in Netzstrümpfen und Federboa ist schrill, bunt und laut: Vor 50 Jahren feiert die „Rocky Horror Picture Show“ Premiere – und wurde zum Kult.
Die Besucher wissen, dass sie sich auf Salven von Reis, Konfetti oder Wasser einstellen können. Echte Fans der „Rocky Horror Picture Show“ erscheinen gleich mit Glitzer-Schminke, Federboa und Wasserpistolen, die Tanzschritte des „Time Warp“ kennen sie auswendig. Der Kult lebt vom Mitmachen. Nebenbei sind Musical und Film ein lustvolles Plädoyer für mehr Toleranz und Diversität. Premiere hatte das Musical „Rocky Horror Show“ von Richard O‘ Brien vor 50 Jahren, am 16. Juni 1973, im Royal Court Theatre in London. Der Film dazu kam zwei Jahre später in die Kinos.
Die „Rocky Horror Show“ sei eine Art Reaktion auf den etablierten Musical-Markt gewesen, sagt Gil Mehmert, Professor an der Essener Folkwang Universität der Künste im Studiengang Musical, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es verkörpere eine Art Antikultur und Jugendkultur, die dann selbst Kult geworden sei. Auch die Musik, die sich beim Rock’n‘ Roll, Rhythm ’n‘ Blues und beim Glam-Rock eines Marc Bolan und David Bowie bedient, bleibe zeitlos.
Mit moralischen Konventionen gebrochen
Die Story: Das junge frischverliebte Paar Brad und Janet strandet nach einer Reifenpanne im Schloss von Dr. Frank N. Furter (in Mieder und Strapsen: Tim Curry) und gerät in eine schrille und monströse Gesellschaft. Das Musical mit einer Truppe Korsett tragender Aliens, einem Frankenstein’schen Muskelmann, College-Kids, einem buckligen Butler und Glam-infizierten Rockern habe die Theaterlandlandschaft für immer verändert, schreibt der Autor Dave Thompson in seinem Buch über den „Rocky Horror Picture Show“-Kult.
Bewusst brach das Musical mit moralischen und geschmacklichen Konventionen jener Zeit. Von der Premiere mit 63 Plätzen zog die Aufführung in immer größere Säle und wurde bald auch in anderen Ländern gespielt.
Der 1975 veröffentlichte Film, bei dem viele Darsteller und Darstellerinnen der Musical–Besetzung mitmachten, wurde erst in einem zweiten Anlauf zum Erfolg, in einem neuen Format der Mitternachtsvorstellung. Er zog eine stetig wachsende Fan-Gemeinde an, die Dialoge und Musik auswendig kannte. Es gehe weniger darum, den Film anzuschauen, „als darum, die Einsätze nicht zu verpassen. Namen und Beschimpfungen zu brüllen, mit Reis, Toastbrot, Spielkarten und Klopapier zu werfen“, schrieb einmal die „Süddeutsche Zeitung“ über das Phänomen.
„Es kamen viele Tunten und Transvestiten aus Dortmund oder Umgebung“, wie sich der Comic-Autor und -Zeichner Ralf König erinnert. Der für seine Schwulen-Comics bekannte König sah den Film damals in einem Kleinstadtkino im westfälischen Soest. „Nicht nur ich staunte über die grell Geschminkten in Netzstrümpfen, auch die arme Kartenverkäuferin war völlig überfordert“, erzählte er dem epd. Als dann während der Vorführung Reis und Klopapier geschmissen wurde, ging das Saallicht an, der Film wurde angehalten und es wurde gedroht, die Vorstellung abzubrechen, wenn der „Blödsinn“ nicht aufhöre.
Geschickter Schachzug
Erfinder Richard O’Brien, 1942 geborener Brite, war selbst Musicaldarsteller, hatte zuvor schon in „Hair“ und „Jesus Christ Superstar“ mitgewirkt. Als er sich einmal mit den Produzenten überworfen hatte, war er eine Weile ohne Beschäftigung. In seiner Wut habe er „eine Art Punk-Musical“ geschrieben, sagt Experte Gil Mehmert, der selber im Bereich Musiktheater und Schauspiel inszeniert. Bedient habe O’Brien sich dabei bei Trash-Kultur und B-Filmen. Daraus habe er eine wirre und chaotische Geschichte geschaffen, die in sich aber funktioniere.
Der von Tim Curry so charismatisch und lustvoll gespielte Alien-Transvestit Frank N. Furter aus „Transsexual-Transsylvanien“ ist zugleich ein Botschafter der Toleranz und sexuellen Selbstbestimmung. Es sei ein geschickter dramaturgischer Schachzug, dass jemand von außen komme und ein positives Virus in die Welt bringe – nämlich, dass alle etwas freier und liberaler miteinander umgingen, erklärt Experte Mehmert.
„Gut gemachtes Tuntenspektakel“
Trotz der Exaltiertheit sei die „Rocky Horror Picture Show“ seiner Meinung nach kein Zerrbild, sondern „ein gut gemachtes, verrücktes Tuntenspektakel mit schmissiger Musik“, sagt Comiczeichner König. O‘ Brien, der den buckligen Butler Riff Raff spielt, erklärte 2009 in einem Interview, dass er sich selbst gut als „drittes Geschlecht“ sehen könne: Er verstehe sich zu 70 Prozent männlich und zu 30 Prozent weiblich.
Dass die „Rocky Horror Picture Show“ auch nach 50 Jahren immer noch Kult ist, zeigen die zahlreichen Aufführungen weltweit zum Jubiläum. Die Musik bleibe zeitlos, erklärt Mehmert. Und die Geschichte sei immer noch anarchisch und schrill.