Rituale als Ruheinseln und Kraftquellen auf dem Lebensweg

Ob Trauerfeier für ein verstorbenes Haustier oder die Segnung homosexueller Paare – gerade die katholische Kirche tut sich damit schwer. Dabei sehnen sich Menschen nach segensreichen Ritualen. Zwei Pastorinnen zeigen neue Wege auf.

Taufe, Hochzeit, Beerdigung – kirchliche Feiern sind bei diesen Übergängen im Leben ein wahrer Segen. Dabei ist das Leben voller weiteren kleinen und großen Umbrüchen, die Menschen verunsichern. Viele wünschen sich auch dann einen segensreichen Beistand und stärkende Rituale. Mehr Mut und Offenheit für individuelle, spirituelle Bedürfnisse befürworten auch die beiden evangelischen Pastorinnen Emilia Handke und Meike Barnahl. Sie haben die Hamburger Ritualagentur „st. moment“ mitbegründet und über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben.

Gerade in der heutigen, krisengeschüttelten Zeit seien Rituale wichtiger denn je. „Wir sind davon überzeugt, dass die alten christlichen Rituale auch im 21. Jahrhundert nichts an ihrer Kraft und Heiligkeit verloren haben.“ Diese müssten aber mitunter anders erzählt werden, „damit Menschen sie besser verstehen können“, schreiben sie in „Dein Leben, dein Moment“. Sie möchten darin Menschen ermutigen, neben alten auch ganz individuelle und für sie passende Rituale zu finden. Und der Sehnsucht zu trauen „nach Segen, der dir den Rücken stärkt, so dass du guten Mutes wieder aufbrechen kannst zu deiner nächsten Etappe“.

Die Lebensreise ist voller solcher, mitunter auch unscheinbar wirkenden Stationen, die trotzdem besondere Momente im Leben des Einzelnen ausmachen: der letzte Kindergartentag, der Einzug in die erste eigene Wohnung, die erfolgreiche Premiere des Chors. Aber auch der Abschied von Arbeitskollegen, von Lebensträumen, vom einstigen Traumpartner oder dem Haustier. Handke und Barnahl beobachten eine große Sehnsucht nach guten Anfängen und Abschieden – „mit der richtigen Kraft im Rücken“ und im Wissen, nicht alles selbst in der Hand zu haben.

Viele Rituale sind in der Familie angesiedelt, etwa das Segenskreuz für den Schulweg, der Austausch über den Tag am Esstisch oder das Abendgebet mit dem Kind. Auch Veränderungen in der Familienstruktur – der Aufnahme eines neuen Pflegekindes, eines Aupairs, ja sogar eines neuen Haustieres – können von Ritualen begleitet sein. Denn „egal, wer neu dazu kommt und aus welchem Grund – immer ändert sich das bestehende Gefüge“. Das bestehende Gleichgewicht gerate wie bei einem Mobile durcheinander, alle Beteiligten müssten neu ihren Platz und ihre Rolle darin finden.

Auf ihrer Lebensreise mit allen Höhen und Tiefen brauchten Menschen immer wieder solche Rastplätze und Herbergen, „in denen wir Pause machen können oder den Zäsuren in unserem Leben Raum geben dürfen“. Rituale bieten genau das – Gelegenheiten, innezuhalten, sich auszuruhen und mit neuer Kraft nach vorne zu schreiten.

Eine wiederkehrende Kernaussage ist der Segenszuspruch: „‚Es ist gut, dass du da bist. Du bist geliebt. Du bist nicht allein.‘ Nach dieser Bestätigung suchen wir immer wieder, auch als Erwachsene – ob in der Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit oder im Leben überhaupt.“

Christen bietet das Kirchenjahr mit vielen alten Ritualen solche Rastplätze. Der Advent, Weihnachten, Karneval, die Fastenzeit, Ostern, das Totengedenken im November – ohne all diese zeitstrukturierenden Rituale sei die Zeit „ohne Inseln, ohne Ankerplätze. Nur rauschendes Getöse“, sind die beiden Autorinnen überzeugt.

Zugleich kehren immer mehr Menschen den Kirche den Rücken oder können mit ihren manchmal überkommen wirkenden Traditionen nichts mehr anfangen. Kirchliche Rituale, „in die wir uns auch hineinfallen lassen können“ können aus Sicht der Autorinnen zwar entlasten; aber sie würden mitunter auch als fremd, sinnentleert und unpassend empfunden. Warum die Taufe also nicht am Nordseestrand oder unter dem alten Apfelbaum feiern, warum sich nach einer Scheidung vom Ehepartner nicht mit einem Trennungsritual lossagen?

Wenn Menschen auf sie zukommen, erkundigt sich Barnahl immer danach, was dem Gegenüber wichtig ist, ob es einen Herzensort hat oder welche Musik es glücklich macht. Gemeinsam versuche sie mit den Menschen herauszufinden, was für sie in ihrem heiligen Moment für sie passe – „und wir sind sicher: Gott ist dabei“.