Rennspektakel mit Schall und Rauch

Der Kaiser kam, sah – und sein Favorit siegte nicht. Das Rennen um den 5. Gordon-Bennett-Cup am 17. Juni 1904 in Bad Homburg, in unmittelbarer Nähe der Sommerresidenz von Wilhelm II., gewann nicht Camille Jenatzy im Mercedes. Sieger war der Franzose Léon Théry mit seinem Richard-Brasier. „Ganz eindeutig scheint der Kaiser wenig erfreut gewesen zu sein, dass Deutschland, nachdem es sich mit der perfekten Organisation des Rennens hervorragend vor den Gästen präsentiert hatte, nicht auch den Sieg heimgeholt hat“, sagt Dieter Dressel, Leiter des Automuseums „Central-Garage“ in Bad Homburg, wo noch bis zum Jahresende eine Sonderschau an das Rennen vor 120 Jahren erinnert.

Dem Sieger von der französischen Konkurrenz gratuliert seine Majestät dann auch nicht persönlich zum Triumph, beglückwünscht nur den französischen Automobilclub und den Konstrukteur.

In vier Runden 564 Kilometer durch den Taunus über Usingen und Grävenwiesbach bis nach Weilburg an der Lahn und über Idstein zurück bis zum Ziel an der rekonstruierten Römerfestung Saalburg: Das war eine nie dagewesene Herausforderung. „Teilnehmer aus sieben Ländern wetteiferten um die Spitzenpositionen bei Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit der Automobile“, sagt Dressel. Es sei eine Leistungsschau gewesen, die auch dem „Aufbruch in eine neue Zeit des Automobilismus diente“ – und den Verkauf der noch sagenhaft teuren Fahrzeuge ankurbelte. Erst 18 Jahren zuvor, 1886, hatte Carl Benz sein erstes „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ zum Patent angemeldet.

Das Rennen beginnt am frühen Morgen des 17. Juni, es ist ein Tag mit strahlendem Sonnenschein. 2.500 zahlende Gäste sitzen auf der Holztribüne im Stil eines römischen Zirkusses und jubeln dem Belgier Camille Jenatzy zu. Der hatte im Vorjahr das Rennen in Irland um den Wanderpokal gewonnen, den der US-Zeitungsmogul James Gordon Bennett Jr. gestiftet hatte. Jenatzky geht auf seinem weißen 90-PS-Mercedes mit der Startnummer 1 ins Rennen. Ihn möchte Wilhelm II. siegen sehen – für Deutschland und seine noch weit hinter den Franzosen rangierende Autobranche.

Der Kaiser kommt laut „Allgemeiner Autobil-Zeitung“ zu Pferd in der Uniform der Gardehusaren an, gleich darauf trifft im Wagen die Kaiserin ein. Von ihrer Loge aus verfolgt das Paar den Start, umgeben von betuchten Bürgern und adligen Gästen aus ganz Europa. 18 Autos gehen ins Rennen, jeweils im Abstand von sieben Minuten.

Die Startflagge senkt sich 250 Meter von der Tribüne entfernt, denn die Zuschauer sollen die Autos schon in voller Fahrt bestaunen. „Jenatzy verschiebt den Hebel auf der Lenkung, und der Motor beginnt wie wahnsinnig zu arbeiten. Dieses Geknatter ohne Schalldämpfer erschüttert die Luft und lässt die Erde erzittern“, berichtet die Automobil-Zeitung eine Woche nach dem Ereignis. Zwischen den Tribünen jagt der Fahrer seinen Wagen „mit einem förmlichen Sprung hinab Wehrheim zu“.

Die hügelige Strecke ist mit viel Aufwand präpariert. Straßengräben sind zugeschüttet, in den Orten sind zur Sicherheit der Zuschauer Übergänge errichtet und Zäune aufgestellt worden. Auf der abschüssigen Fahrt nach Limburg an der Lahn erreichen die schnellsten Autos das damals kaum vorstellbare Tempo von 160 Kilometern pro Stunde. Durch die Dörfer und Städte geht es nur im Schritttempo, die Zeit wird angehalten.

Im offiziellen Programmheft steht zu lesen: „Es ergibt sich, dass die Beschaffenheit der Taunus-Rennstrecke als Sieger nur einen Wagen durchkommen lässt, der in sich große motorische Kraft, höchst soliden Bau mit augenblicklich funktionierendem Anfahr- und Abstopp-Vermögen vereinigt, und der von einem außerordentlich kaltblütigen Fahrer gesteuert wird.“ Geteerte Straßen gibt es nicht. In den Orten liegt zumeist „ein Katzenkopfpflaster von geradezu achsenmörderischer Holprigkeit“, so der Berichterstatter an der Strecke. Sechs Autos fallen aus.

Das Rennen lockt geschätzt eine Million Zuschauer an. Entlang der Strecke wird in Verkaufsständen und Zelten bei Bier und Bratwurst gefeiert. In der Kurstadt Bad Homburg gibt rund um das Rennen eine Woche lang Konzerte, Bälle, Diners und Theateraufführungen. Sämtliche Hotels in der Umgebung sind ausgebucht.

Nach 5 Stunden und 50 Minuten steht der Gewinner fest: Théry siegt vor Jenatzy (6 Stunden, eine Minute). Dritter wird Pierre Baron de Caters im Mercedes. „Sowohl der Gordon-Bennett-Cup als auch die nachfolgenden Grand Prix-Rennen können als Vorläufer der heutigen Formel 1 betrachtet werden, weil es sich in den jeweiligen Epochen stets um die Königsklasse des Motorsports handelt“, urteilt Frieda Da Silva Sengo vom Mercedes-Benz Konzernarchiv in Stuttgart.

In den Anfängen des Motorsports galt es nach ihren Worten vor allem, die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge zu beweisen: „Die Automobilwettbewerbe, die ab 1895 stattfinden, beflügeln das Automobilgeschäft. Der Slogan ‘Win on Sunday, Sell on Monday’ (am Sonntag gewinnen, am Montag verkaufen) entwickelt sich zum Erfolgsrezept für die Hersteller“, erklärt die Archivarin.

Das Konzept geht auf. Emil Jellinek, damals Aufsichtsrat und Verkaufschef bei Daimler, dessen Tochter Mercedes die Namensgeberin der neuen Marke der Daimler Motorengesellschaft ist, sagt unmittelbar nach dem Cup: „Frankreich hat gesiegt. Geschäftlich nicht. Wissen Sie, was ich seit dem Rennen verkauft habe? 24 Wagen nach Belgien, 12 Wagen nach Holland und 150 nach England. Den Wagen von de Caters hat Baron Henri Rothschild erworben.“

Noch bevor de Caters als Dritter zwischen den Tribünen durchs Ziel rauscht, besteigt Wilhelm II. auf dem Weg zurück ins Schloss Bad Homburg sein erstes eigenes Auto, einen Mercedes, 28 PS stark. Das bleibt nicht lange so: Beim umtriebigen Jellinek bestellt der Monarch umgehend einen zweiten Wagen – diesmal mit stolzen 40 PS.