„Religionsunterricht ist ein Grundrecht für Kinder“

An manchen Schulen hieß es während des Lockdowns, die einstündigen Fächer sollten pausieren. Aber gerade jetzt sei der Religionsunterricht wichtig, betont der Religionslehrerverband Mecklenburg-Vorpommern zum Ende dieses Schuljahres.

Unterricht mit Maske und Abstand – über Monate war das für Schüler in ganz Deutschland Realität
Unterricht mit Maske und Abstand – über Monate war das für Schüler in ganz Deutschland RealitätMatthias Rietschel / epd

Verchen/Greifswald. „Corona hat uns verordnet, Abstand zueinander zu halten. Aber nichts erschwert pädagogisches Arbeiten so sehr wie Distanz“, sagte Bischof Tilman Jeremias in Verchen am Kummerower See. Der Religionslehrerverband Mecklenburg-Vorpommern, zu dem rund 100 der insgesamt etwa 600 Religionslehrer im Bundesland gehören, hatte zu einem Gottesdienst eingeladen.

„Ich möchte Ihnen meinen tiefen Respekt ausdrücken, wie Sie als Lehrkräfte diese Monate gemeistert und kreativ gestaltet haben“, sagte der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern zu den Lehrenden – und kritisierte die Prioritätensetzung mancher Leitungspersonen in den vergangenen Monaten. „Religion kann pausieren, hieß es. Ich würde dagegenhalten: Nie war Religionsunterricht wichtiger, denn er als Erster ist der Ort, wo verunsicherte und mehr und mehr traumatisierte Schülerinnen und Schüler offene Ohren für ihre bedrängende Situation finden.“

Herz via Mail ausgeschüttet

Das bestätigt Anne Merkel, Vorsitzende des Verbands. Die 36-Jährige unterrichtet Religion und Englisch am Gymnasium in Neukloster. „Als an unserer Schule beim zweiten Lockdown die einstündigen Fächer wegrationalisiert werden sollten, habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt“, erzählt sie. „Religionsunterricht ist ein Grundrecht für die Kinder, und diese Stunde war für mich die Chance, sie weiterhin zu erreichen.“ Per E-Mail und Videokonferenz hätten viele ihr das Herz ausgeschüttet. „Sie haben sich oft sehr einsam gefühlt und wollten mit jemandem sprechen, der nicht Familie ist.“

Anne Merkel
Anne MerkelReligionslehrerverband MV

Die Religionslehrerin ist es gewohnt, dass die Jugendlichen sich an sie wenden – mit handfesten Problemen oder auch, um ihre moralische Einschätzung einer Situation zu hören. „Ich bin für die jungen Leute eine Vertrauensperson“, sagt Anne Merkel. Religionsunterricht, davon ist sie überzeugt, ist viel mehr als ein Schulfach: „Die Schülerinnen und Schüler erleben dort, akzeptiert zu werden, so wie sie sind – unabhängig davon, wie sie aussehen, wie ihre Beliebtheit ist oder ihre Schulnoten sind. Diese Stunde bietet der Seele einen Raum, frei zu sein, und tut etwas Gutes für den Geist.“

In Mecklenburg-Vorpommern besuchen rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse den Religionsunterricht, in den höheren Klassen sogar knapp 50 Prozent. Für die meisten ist dieser Unterricht die erste Begegnung mit Glauben, Religion und Kirche. Anne Merkel, die selbst in einem religionskritischen Haushalt aufgewachsen ist, sieht das für beide Seiten als Bereicherung: „Für die getauften und gläubigen Schülerinnen und Schüler ist es spannend zu sehen, dass es noch eine andere Sicht gibt. Und diejenigen, die noch nie eine Kirche betreten haben – also die Mehrzahl in meinem Unterricht – erleben, dass es da etwas gibt und dass man sein Leben mit Gott leben und gestalten kann.“

Für Glauben einstehen

Als Religionslehrerin stehe sie für ihren Glauben ein. „Die Jugendlichen sind sehr interessiert daran, wie ich als religiöse Person denke, etwa über Beziehungen oder Homosexualität“, erzählt sie. Meistens wollten sie aber einfach mal gehört werden, ohne dass gleich jemand das Gesagte bewerte. „Und wenn eine Situation etwas verfahren erscheint, sag ich auch mal: Gib das doch in Gottes Hände.“

Info
Annette Klinkhardt ist Pressereferentin von Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel MV.