Reformprozess: Das Zauberwort heißt Beteiligung

Viele Kirchengemeinden stecken in Reformen, um ihre Strukturen an schwindende Ressourcen anzupassen. Susanna Matt-Windel leitet ehrenamtlich die Steuerungsgruppe, die die Gemeinde Gütersloh begleitet.

Wo soll‘s langgehen? Wenn Reformen in der Kirche anstehen, sind oft viele Menschen mit vielen Meinungen beteiligt. Die gilt es zusammenzuführen, damit am Ende das bestmögliche Ergebnis erzielt wird.
Wo soll‘s langgehen? Wenn Reformen in der Kirche anstehen, sind oft viele Menschen mit vielen Meinungen beteiligt. Die gilt es zusammenzuführen, damit am Ende das bestmögliche Ergebnis erzielt wird.Rudzhan

Am Ende des seit zwei Jahren laufenden Reformprozesses in Gütersloh soll unter anderem die Aufgabe von vier von sieben Kirchen bis zum Jahr 2032 stehen. Das ist kein Pappenstiel. Trotzdem (oder gerade deshalb?) haben Sie sich Offenheit und Transparenz auf die Fahnen geschrieben. Ist das bis jetzt gelungen? Konfliktfähigkeit gilt ja nicht als kirchliche Kernkompetenz.
Susanna Matt-Windel: Ich würde sagen ja. Und zwar weil wir uns von vornherein von Kontrollillu–sionen und Machbarkeitsvor–stellungen verabschiedet haben. Wir nehmen vielmehr die Unsicherheit in den Blick. Das heißt: Wir machen uns im Vorfeld bewusst, dass es keinen geraden Weg, keine einfache Lösung geben wird. Wir haben ja die Ziele nicht festgesetzt, sondern ein sehr bewegliches, schleifenförmiges Steuerungsmodell installiert, das darauf basiert, genau hinzuhören. Der Leitgedanke heißt dabei, Unsteuerbares zu steuern. Das habe ich übrigens bei einer Tagung in Villigst gelernt.

Je offener man agiert, desto mehr Menschen verlangen Mitspracherecht – über die dafür vorgesehenen Gremien wie Presbyterien hinaus. Beim Thema Kirchengebäude meldet sich auch die „Stadtgesellschaft“ gerne zu Wort. Viele Menschen verbinden persönliche Erfahrungen mit den Kirchen. Wie bringt man das unter einen Hut?
Das ist nicht immer leicht. Wenn sich die Stadtgesellschaft zu Wort meldet, werden dabei auch Dinge laut, die auf den ersten Blick unangenehm und schmerzvoll sind. Dabei kommt uns aber die Pro–zessorientierung, mit der wir die Reformen in Angriff genommen haben, zugute. Praktisch heißt das: Über unsere sehr gut funktionierende Öffentlichkeits–arbeit setzen wir Impulse in die kirchliche und außerkirchliche Gesellschaft und beziehen deren Argumente in unsere Über–legungen mit ein. Auch die schmerzvollen Gefühle von Bürgerinnen und Bürgern etwa zu dem drohenden Abschied von Kirchengebäuden erkennen wir an. Wichtig war und ist uns, davor keine Angst zu haben. Denn klar ist ja: Solche Entscheidungen sind schwer. Wer möchte schon Kirchen abgeben?

Wichtige Impulse aus der Öffentlichkeit

Da kommt Trauer bei vielen Menschen auf…
Das stimmt. Da versuchen wir auch zu helfen – durch Gesprächsangebote im Alltag oder etwa im Kirchencafé. Wir – die Pfarrerinnen und Pfarrer, Presbyterinnen und Presbyter – gehen auch auf Einzelne oder Gruppen zu, um deutlich zu machen: Wir verstehen euren Verlust und nehmen ihn ernst.

Empfinden Sie die Beteiligung der Öffentlichkeit insgesamt eher als Bereicherung oder als Erschwernis für den Entscheidungsprozess?
Die Beteiligung ist unbedingt notwendig und auf jeden Fall eine Bereicherung, denn sie zeigt ja auch, dass Kirche in der Gesellschaft noch eine Rolle spielt. Außerdem erhalten wir wichtige Impulse. Wir können die Probleme, die wir haben, nur gemeinsam lösen.

Und das obwohl mittlerweile nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört…
Klar, ihre dominante Rolle in der Gesellschaft hat die Kirche verloren. Darum ist auch Demut unsererseits gefragt. Das müssen wir anerkennen. Je transparenter wir aber gegenüber der Öffentlichkeit agieren, desto besser erhalten wir unsere Gestaltungsspielräume und zeigen, was Kirche kann.

Alle sind gefragt, sich zu beteiligen

An anderer Stelle haben Sie mal von einer „christlichen Fundierung von Beteiligung“ gesprochen. Was ist das spezifisch Christliche daran?
Am Anfang all dessen, was wir in der Kirche tun, steht doch der Ruf Gottes. Und der ergeht an jeden und jede. Zwischen Gott und den Menschen steht keine andere Macht. Wir haben das Priestertum aller Gläubigen. Darum ist klar, dass alle gefragt sind, sich zu beteiligen und Kirche zu gestalten. Das ist grundlegend für uns als Evangelische. Und ist darum auch grundlegend für einen solchen Reformprozess – auch wenn die letztliche Entscheidung das Presbyterium trifft, das diese dann verantwortet.

Wie ist denn das Klima bei den Debatten – innerkirchlich und nach außen? Haben Sie persönlich schon Anfeindungen erlebt? Oder andere Mitglieder der Steuerungsgruppe?
Wir haben frühzeitig eine E-Mail-Adresse eingerichtet, über die jeder und jede seine und ihre Anmerkungen zum Reformprozess an uns schicken kann. Da hat sich vereinzelt mal jemand im Ton vergriffen, aber wirkliche Anfeindungen gab es nicht. Insgesamt waren wir erstaunt, wie vergleichsweise sachlich argumentiert wurde und wird. Der große Sturm ist zum Glück ausgeblieben.

Ernst gemeinte Beteiligung ist wichtig

Hilft Ihnen in Ihrem Ehrenamt als Leiterin der Steuerungsgruppe Ihre psychologisch-therapeutische Ausbildung?
Ich bin in der Gemeinde zwar ehrenamtlich tätig. Aber ich bringe mich hier professionell ein. Zum Beispiel im Blick auf ernst gemeinte Beteiligung. Das lernen wir nämlich grade, wärend wir es tun. Was ich für meinen Beruf gelernt habe, hilft dabei natürlich. Es geht um Begegnung auf Augenhöhe, um die grundsätzliche Bestätigung des Gegenübers. Auf dieser Basis kann man sich dann leichter über inhaltliche Fragen verständigen. Hilfreich ist sicher auch, dass ich gelernt habe, meine Wahrnehmung zu schärfen und dieser auch zu trauen, Stimmungen und Resonanzen beim Gegenüber aufzunehmen und damit umzugehen. Auch immer wieder meine verschiedenen Rollen klarzukriegen ist wichtig. Ich komme ja nicht von außen, sondern bin Teil des Presbyteriums und auch mal empfindlich oder genervt. Darum bin ich sehr dankbar, dass mir das Presbyterium ermöglicht hat, selbst Supervision in Anspruch nehmen zu können.

Würden Sie sich noch einmal zur Verfügung stellen für ein solches Amt?
Im Prinzip ja. Wir sind in diesem Zukunftsprozess geistlich unterwegs. Unsere Arbeit hat was damit zu tun, dass wir einen Ruf spüren, dem wir antworten.

Susanna Matt-Windel

Was würden Sie anderen Gemeinden oder Kirchenkreisen raten, die sich auf den Weg von Reformen begeben?
Ich würde sie ermutigen, Offenheit und Unsicherheit zu wagen, immer wieder das ehrliche Gespräch zu suchen und dabei auch den Mut zu haben, mal Fehler zu machen. Solche schwierigen Prozesse können schließlich nicht konflikt- und fehlerfrei über die Bühne gehen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber wenn wir in dem Vertrauen handeln, dass Gott es gut mit uns meint und etwas mit uns vorhat, findet sich ein Weg.