Rechtskatholik Leo, die graue Eminenz der US-Justiz

Donald Trump hofft, dass die konservativen Richter am obersten US-Gericht ihn schützen werden, weil sie ihm etwas schuldig sind. Dabei verdanken sie ihren Job eigentlich dem Rechtskatholiken Leonard Leo.

In der Freund-Feind-Welt von Donald Trump kann das Oberste Gericht nicht anders, als ihm zu helfen. Sei es an diesem Donnerstag, wenn die neun Richterinnen und Richter Argumente anhören, ob der mutmaßliche Drahtzieher des Kapitol-Sturms am 6. Januar 2021 zurecht von den Wahlscheinen Colorados verbannt wurde. Oder bei der Durchsetzung von Trumps Anspruch auf Immunität, den ein Bundesberufungsgericht am Dienstag zurückwies.

Dabei erinnert Trump daran, dass er es war, der Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett während seiner Präsidentschaft für den Supreme Court nominiert hatte. Vorgeschlagen hatte die drei Kandidaten allerdings ein untersetzter Mann mit runder Brille, dem es ganz recht ist, öffentlich kaum in Erscheinung zu treten. Die Rede ist von Leonard Leo, einem katholischen Rechtsaktivisten, der über Jahrzehnte an der Spitze der Federalist Society stand.

Die 1982 gegründete Organisation hatte sich unter Leos Führung zur treibenden Kraft der US-amerikanischen Rechten im Kampf um die Besetzung der Gerichte entwickelt. Mit großem Talent zapfte der Jurist für seine Agenda Milliardäre wie den Hedgefonds-Manager Paul Singer, Immobilien-Mogul Harlan Crow sowie Charles und David Koch an. Das Geld half der Federalist Society, ein Netzwerk qualifizierter Kandidaten für Richterämter auf allen Ebenen zu formen. Leo führte in den USA einen Marsch durch die Institutionen von Rechts an.

Trump sicherte sich 2016 seine Nominierung durch die Republikaner unter anderem mit dem Versprechen, nur Personen für den Supreme Court zu nominieren, die so tickten wie der verstorbene Antonin Scalia. Entsprechende Kandidaten fanden sich allesamt auf einer Liste der Federalist Society, die Leo zusammengestellt hatte. Ihn verband nicht nur der traditionelle Katholizismus, sondern auch die rechtskonservative Weltsicht mit Scalia, der zu ihm nach eigenen Worten „wie ein Onkel“ war.

Enge Bande hat Leo auch zu Supreme Court-Richter Clarence Thomas, dessen umstrittene Bestätigung er im Senat durchgefochten hatte, wie zu Samuel Alito, einem anderen Rechtskatholiken, den er gefördert hatte. Nicht zu vergessen der Vorsitzende Richter am Supreme Court John Roberts, für dessen Bestätigung sich die Federalist Society ins Zeug legte.

Einen Coup landete Leo, als er über einen Kontakt zu Trumps Wahlkampf-Justiziar Don McGahn den Kandidaten dazu brachte, sich 2016 auf das Personaltableau seiner Organisation festzulegen. „Wir werden großartige Richter haben, Konservative, die alle von der Federalist Society ausgewählt sind“, verkündete Trump vor seiner Wahl ins Weiße Haus.

Als Leos Gäste am 23. Juni 2022 die Champagner-Korken auf seinem vornehmen Privatanwesen an der Küste Maines knallen ließen, gab es allen Anlass zu feiern. Dank der drei von ihm vorgeschlagenen und bestätigten Supreme Court-Richter Gorsuch, Kavanaugh und Coney Barrett, die alle im katholischen Glauben aufwuchsen, dominierte Amerikas Rechte mit sechs zu drei Stimmen das Oberste Gericht. Und warf am nächsten Tag mit dem Ende des Grundsatzurteils „Roe v. Wade“ ein halbes Jahrhundert Rechtssprechung zur Abtreibung auf den Haufen der Geschichte. „Niemand hat mehr dafür getan, traditionelle Werte zu fördern, insbesondere den Lebensschutz, als Leo“, lobte Trumps ehemaliger Justizminister William Barr den nach eigenem Zeugnis „etwas introvertierten“ Strippenzieher.

Während das Koch-Imperium weiterhin große Stücke auf Leonard Leo hält, fiel Trump bei den Milliardären in Ungnade. Sie fürchten, seine Rolle beim Kapitol-Angriff mache ihn im kommenden November nicht wählbar, und unterstützen deshalb tatkräftig dessen konservative Herausforderin Nikki Haley. Auch Ex-Justizminister Barr und viele andere haben sich von dem wenig frommen Trump abgewandt.

Analysten halten es deshalb für keineswegs sicher, dass der Supreme Court sich Trump verpflichtet fühlt. Denkbar sei, dass die Richter die Chance ergreifen und den Weg für jemanden mit besseren Aussichten auf einen Sieg bei den Wahlen im November freimachen.

Denn Leo ist mit seinem Projekt bisher nicht am Ziel. Nachdem sein Marsch durch die Institutionen bei den Gerichten Erfolg hatte, will er nun die US-Gesellschaft zur Umkehr bewegen – oder „Tugendhaftigkeit“, wie der strengkatholische Netzwerker es nennt. Die Rückkehr eines Konservativen ins Weiße Haus könnte bei diesem Vorhaben am Ende wichtiger sein, als die verlorenen Schlachten eines umstrittenen Ex-Präsidenten zu führen.