Die Wohnung räuchern, Tagebuch schreiben, das alte Jahr Revue passieren lassen, sich Impulsfragen stellen, Wünsche und Vorhaben für das neue Jahr formulieren, beim Spaziergang Begebenheiten in der Natur deuten, Orakelkarten ziehen – das Brauchtum um die sogenannten Rauhnächte spricht viele Menschen an. Je nach Zählweise wird so die Zeit zwischen dem 21. Dezember und 1. Januar oder zwischen dem 25. Dezember und 5. Januar bezeichnet, der zudem eine besondere Spiritualität zugesprochen wird. Ideen für das Gestalten der Tage geben inzwischen auch Ratgeber, Kartensets und Seminare zum Thema. Übereifer und eigener Leistungsdruck können aber den Sinn dieser Tage verstellen, geben zwei Expertinnen zu bedenken.
Tipps für entspannte Rauhnächte ohne Perfektionsdruck
“Rauhnächte dürfen alles, nur nicht stressen”, findet Tanja Köhler. “Einsteiger wollen alles machen, was es gibt”, beobachtet die Diplom-Psychologin aus dem baden-württembergischen Denkingen. Eine hohe Anspruchshaltung und Perfektion sind für sie aber fehl am Platz. Stattdessen empfiehlt sie, sich entspannt auf die Zeit am Jahresende einzulassen – “ich möchte die Rauhnächte entstressen”. Köhler bietet Seminare zu dem Thema an und hat das Buch “Rauchnächte – 12 Tage nur für Dich” geschrieben.
Birgit Feliz Carrasco kann dem nur zustimmen. “Es geht um das Wohlbefinden und zur Ruhe kommen in dieser Zeit”, sagt die Heilpraktikerin aus Wolfhagen bei Kassel. Von der Meditations- und Yogatherapeutin ist soeben das Kartenset mit Begleitbüchlein “3 x 12 magische Nächte” erschienen. Sie teilt darin die Zeit um die Jahreswende in drei Phasen: die sogenannten Dunkelnächte für die zwölf Tage vor der Wintersonnenwende am 21. Dezember, die folgenden zwölf Rauhnächte und die “Lichtnächte” bis zum 13. Januar, wenn die Tage schon wieder ein wenig länger werden. Klingt nach einem strammen Besinnungsprogramm – gerade das soll es aber nicht sein, betont Feliz Carrasco. Sie versteht die Impulse eher als Anregung: “Man kann sich auch eine Karte aussuchen, die einen besonders anspricht”.
Rauhnächte: Rituale bewusst planen für innere Einkehr
Rituale um die Rauhnächte sind für Tanja Köhler “nichts, was man einfach so nebenbei machen kann – Rauhnächte brauchen einfach Zeit, und sie sollten nicht beliebig sein”, betont sie. Für wichtig hält sie deshalb einen guten Rahmen – eine fixe Uhrzeit mit klarem Zeitrahmen, einen festen Ort, einen Ablauf und Utensilien wie eine Kerze und Schreibzeug für Notizen.
In dieser Zeit “zwischen den Jahren” meinten Menschen früher, sich vor bösen Geistern durch allerlei Rituale schützen zu müssen. Für Köhler sind die Rauhnächte “alles andere als Humbug”; sie interpretiert sie zeitgemäß als “eine wundervolle Einladung für ein Rendezvous mit mir selbst”.
Rauhnächte als Gelegenheit, Altes loszulassen und zu ordnen
Schon früher haben die Menschen die Zeit um den Jahreswechsel entspannt verbracht, erläutert Feliz Carrasco. Die zwölf Rauhnächte mit jeweils eigenen Aufgaben zu versehen, seien jedoch “eine neuzeitliche Erfindung”, sagt die Buchautorin. “Für unsere Ahnen war es eine Zeit, in der man sich zurückzieht.” Zuvor wurden Anfang Dezember in den sogenannten Dunkel- oder Sperrnächten, wenn die Arbeit auf dem Feld beendet war und es draußen ungemütlich wurde, Geräte instandgesetzt und bis zum Frühjahr weggesperrt. Kaputtes wurde entsorgt. Die Heilpraktikerin sieht das auch als Einladung, vor der Wintersonnenwende am 21. Dezember defekte Dinge auszusortieren und Überflüssiges loszulassen. Das ein oder andere könnte sich auch als Weihnachtsgeschenk entpuppen, findet sie.

Zum Jahresende war es früher besonders im Alpenraum üblich, Haus und Hof zwischen den Jahren – zum Schutz vor Krankheiten und anderem Unheil – einmal gründlich mit Weihrauch zu räuchern. Die ganze Familie habe an dem meditativen Gang teilgenommen, erläutert die Heilpraktikerin. Und da solch ein achtsamer Gang Zeit brauchte, wurde er nur einmal am Jahresende vollzogen.
Rauhnächte nutzen für Selbstreflexion und innere Klärung
Ein Brauch, den Feliz Carrasco auch in der heutigen Zeit für wichtig hält. “Unsere Räumlichkeiten sollen uns schützen”, erklärt die Heilpraktikerin. Zugleich werde dort aber auch gestritten, man erlebe dort Leid und Belastendes. Solche feinstofflichen Schwingungen blieben in den Räumen haften. Beim Räuchern der Wohnräume und des Umfeldes rät sie, sich “in Güte von dem Alten zu verabschieden”. Es sei nicht nötig, dieses Ritual an jedem Tag des Jahresendes zu praktizieren.
Tanja Köhler verzichtet auf das Räuchern, “das muss man auch riechen können”, sagt die Psychologin. Stattdessen zündet sie eine Allgäuer Kräuterkerze an, wenn sie sich der Innenschau widmet. Für sie ist die Beschäftigung mit bestimmten Fragen am Jahreswechsel wichtig. Notizen gehören für sie dazu, “das Denken ist flüchtig”, was man niederschreibe, habe eine andere Qualität. “Man kommt zum Kern, um was es geht”, so ihre Beobachtung.
“Welche Momente waren besonders schön?; in welcher Situation hat Dich Dein liebster Mensch lächeln sehen?”, lautet eine Frage ihres persönlichen Jahresrückblicks. Eine andere: “Was war nicht schön, wobei ging es mir nicht gut – und was habe ich daraus gelernt?”. Mit solch einem Perspektivwechsel bleibe man nicht im negativen Erleben stecken, weiß die Psychologin. Mit Blick auf das kommende Jahr stellt sie sich der Frage: “Was möchte ich auf jeden Fall erleben?”
Rauhnächte als Chance, Stress in der Adventszeit zu reduzieren
Welche Wirkung die Rauhnächte entfalten, hat für Tanja Köhler nichts mit Magie zu tun, sondern vielmehr mit der Bereitschaft, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Wenn sich Menschen dabei auf wichtige Lebensfragen einlassen, gewinnen sie innere Klarheit darüber, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Mit Blick auf das neue Jahr können sie ihre Prioritäten neu ordnen, sagt die Psychologin.
Gerade mit Blick auf die stressige Adventszeit rät Meditationsexpertin Feliz Carrasco, in den langen Winternächten etwas für sich zu machen und auch mal auf elektronische Medien zu verzichten. “Die Menschen haben total vergessen, wie wichtig Lebenszeit ist – sie wird nicht mehr, wenn man gehetzt durchs Leben rennt.”
Zeit miteinander zu verbringen und gemeinsam schöne, besinnliche Stunden zu erleben, das ist für die Heilpraktikerin deshalb am Jahresende das wichtigste überhaupt. “Das alte Jahr in Güte verabschieden und das Neue willkommen heißen – das ist der wahre Sinn der Sperrnächte, Rauhnächte und der Lichtnächte.”
