Ramelow: Am Wahlmorgen hat sich die ganze Gemeinde um mich gekuschelt

Der scheidende Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) würde sich auch nach 34 Jahren in Thüringen nie als gelernter Ossi bezeichnen. „Man kann nie Ossi werden. Das wäre anmaßend, weil ich nie mit den Widersprüchen der DDR klarkommen musste“, sagte der gebürtige Niedersachse dem Berliner „Tagesspiegel“ (Donnerstag): „Ich hatte immer Westgeld und ein Westauto. Ich konnte mit einer Stempelkarte in die DDR rein und wieder raus, durfte meine Ost-Familie in der Altmark regelmäßig besuchen.“

Als er 1990 als Gewerkschafter aus dem Westen dauerhaft nach Erfurt gekommen sei, sei er in Fettnäpfchen getreten, „von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt“, so Ramelow. So habe er gelernt, zuzuhören.

Der scheidende Ministerpräsident und bekennende Protestant, dessen Partei Die Linke bei der Thüringer Landtagswahl am 1. September nur noch auf 13,1 Prozent der Stimmen kam, hatte nach eigenen Worten seinen ersten Moment des Abschieds bereits beim Gottesdienst am Wahlsonntag. „Als ich vor 25 Jahren in die gleiche Kirche ging, wollte niemand neben mir sitzen, weil ich für die PDS kandidierte“, sagte Ramelow: „Nun, am Wahlmorgen, hatte sich meine ganze Gemeinde um mich gekuschelt.“

Kritik äußerte er an einer abgeschotteten, um sich selbst kreisenden Parteienlandschaft, die nicht mehr in der Mehrheit der Bevölkerung verwurzelt sei. Das sei langfristig auch eine Gefahr für die Demokratie, sagte Ramelow.

Derzeit sei er der einzige Ministerpräsident ohne akademischen Abschluss, sagte der gelernte Weinbauer und Lebensmittelkaufmann weiter: „Leute wie ich landen eigentlich kaum mehr in Parlamenten.“