Paul Lendvai (94), Publizist und Holocaust-Überlebender, appelliert an junge Menschen, sich für das Gute einzusetzen. “Man darf nie Schlafwandler sein und die heutigen Freiheiten romantisch als gegeben betrachten”, sagte Lendvai im Interview der Zeitung “Die Welt” (Dienstag). Vielmehr müsse man sich stets bewusst sein, “dass alles von einem Moment zum anderen verschwinden kann”.
Daher gelte es, zu schätzen, was man habe, betonte der Autor. Und: “Niemals aufgeben, das muss das Motto sein.” Er zeigte sich besorgt angesichts von Antisemitismus, der sich intensiviert habe, auch wenn er nie wirklich weg gewesen sei. “Wir haben es insgesamt mit Judenhass aus drei Richtungen zu tun: von klassisch rechtsextremer Seite, von muslimisch-migrantischer Seite und schließlich auch von linker Seite, weil man Israels Erfolgsgeschichte mit Kolonialismus gleichsetzt.”
Momentan zeige sich, “wie kurz das historische Gedächtnis reicht”, mahnte Lendvai. Für ihn sei Deutschland lange beispielhaft dafür gewesen, “wie man die Vergangenheit aufarbeitet und aus der Geschichte gelernt hat”. Nun stellten indes die sozialen Medien die Demokratie vor die Herausforderung, Freiheitsrechte zu schützen und zugleich zu verhindern, “dass die junge Generation von TikTok oder Twitter, jetzt X, vergiftet wird”. Entgegenwirken lasse sich dem nur, “indem man unbeirrt aufklärt. Indem man sich nicht verstricken lässt, weder durch politischen Druck noch durch Bestechung.”
Im Hinblick auf die Eurpawahlen im Juni zeigte sich der Publizist skeptisch. “Ich fürchte, die Wahlbeteiligung wird wie immer relativ gering ausfallen. Bei geringer Wahlbeteiligung profitieren immer die Parteien, die ihre ‘Wutbürger’ zu mobilisieren wissen. Gut möglich, dass das den extrem Rechten gelingt.” Auch bezüglich der Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern habe er Bedenken. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird im September ein neuer Landtag gewählt.