Psychotherapeut: Ein Leben ohne Stress ist unmöglich – zum Glück

Die Klage über Stress ist allgegenwärtig, Tipps gegen Stress ebenso. Dabei halten Fachleute ein Leben ohne Stress für unmöglich – und auch nicht für erstrebenswert.

Kaum zu glauben: Ein Leben in der Hängematte ist laut Psychologen gar nicht gut
Kaum zu glauben: Ein Leben in der Hängematte ist laut Psychologen gar nicht gutImago / Westend 61

Ein Leben ohne Stress ist nach Worten des Psychiaters und Psychotherapeuten Andreas Hillert unmöglich. „Die Illusion eines völlig entspannten Lebens, in einer Hängematte zwischen zwei Palmen am Strand, ist nicht umsetzbar. Und wenn sie umsetzbar wäre, würde sie nicht zu Glückszuständen führen, sondern längerfristig zu tödlicher Langeweile“, sagte Hillert der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Wenn Erholung zum eigentlichen Lebensinhalt werde, werde sie zum Problem.

Dies zeige sich etwa bei Menschen, die unvorbereitet in den Ruhestand gingen, so der Chefarzt und Leiter der Tagesklinik der Schön-Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee: „Wenn regelmäßige sinnhafte Tätigkeiten wegfallen und dazu viele Sozialkontakte, dann geraten die Betroffenen in Dauerstress.“ Er behandle viele Menschen, deren Renten- oder Pensionseintritt wenige Monate bis Jahre zurückliege.

Einfach mal innehalten

Auch in anderen Situationen gelte es, zwischen akutem und dauerhaftem Stress abzuwägen. So begehre jemand vielleicht nicht gegen schlechte Arbeitsbedingungen auf, um einen Konflikt mit dem Chef zu vermeiden. „Vielen Menschen fällt es schwer, in solchen Situationen Distanz zu finden und sich zu fragen, wie eine sinnvollere Strategie aussehen könne“, erklärte der Autor des Ratgebers „Stress positiv nutzen“. Auf Dauer verstärke eine solche Lage allerdings das Stress-Level.

Ratsam sei es, innezuhalten und eine belastende Situation genau zu analysieren, erklärte Hillert. Helfen könne dafür das Bild einer Waage: „Wenn die geforderte Verausgabung die materielle wie nicht-materielle Belohnung überwiegt, bedeutet das chronischen, potenziell gesundheitsschädlichen Stress.“ In einem solchen Fall gelte es, sich für Änderungen einzusetzen – auch wenn dies zunächst vielleicht sogar mehr Anstrengung bedeute.

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